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Johnsbach,
4. August |
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Canyoning 1 |
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Mich
an Wasserfällen abseilen, hinunterklettern, Sprünge in
eiskalte Wasserbecken wagen, durch glasklare, eiskalte
Tümpel schwimmen, Nervenkitzel, wilde Wasserlandschaften
und enge Schluchten von urzeitlicher Schönheit, so ein
Bild hatte ich mir vom Schluchtwandern (auch "Schluchteln"
oder neumodisch "Canyoning" genannt) gemacht
und mich schon öfters gefragt, ob ich dazu überhaupt
die Nerven hätte, ob mir nicht die Höhenangst einen Streich
spielen würde.
Als wir, bereits in Neopren-Anzug, Helm und Schuhe gekleidet,
den Berg hinauf wandern, und ich tief unter uns den Wasserlauf
fließen sehe, taucht bei mir unvermittelt die Frage auf,
ob ich mir nicht zu viel zugemutet
hätte. Aber manchmal, denke ich gleich darauf, müsse
man sich zu manchen Dingen zwingen, und sei es auch nur,
um sich nicht zu blamieren.
Oben angekommen ist die Zeit fürs Nachdenken sowieso vorbei.
Der Klettergurt wird festgezurrt, der Sturzhelm aufgesetzt,
die Plastiktonne (in der ich meinen Fotoapparat wasserdicht
verstaut habe) fest zugeschraubt. Es kann losgehen.
Wir bewegen uns fürs Erste entlang eines eher schmalen,
harmlos aussehenden Wasserlaufes, mal im Flussbett, mal
am Ufer, kleine Wasserfälle irgendwie zu Fuß überwindend.
Doch bald kommen wir zur ersten Abseilstelle. Dieter hakt
das eine Ende des Seils mittels eines Karabiners
an meinen Gurt und zeigt mir, wie dieser mit der Verschlusssicherungsschraube
festzumachen sei. Ich soll von einem Felskopf abgeseilt
werden. Um ein leichtes Abziehen zu gewährleisten, legt
Dieter eine Bandschlinge über den Felsen und hängt mittels
Abseilachter das Seil daran. |
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Während ich mich nun, Gesicht zu ihm gerichtet, rückwärts
zur Kante des Wasserfalls hin bewege, lässt er vorsichtig
und langsam das Seil los - mit dem Achter kann die Bremskraft
dosiert werden -, und achtet darauf, dass es immer gespannt
bleibt. Schritt für Schritt gehe ich nach hinten gelehnt
rückwärts, und gelange - mit dem letzten Ratschlag, ich
solle mich bloß nicht mit den Händen am Seil fest halten
- schließlich an die Kante. |
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Jetzt heißt es umso mehr, sich mit dem Oberkörper weit
zurück zu lehnen und, im Klettergurt nahezu sitzend,
die breit gehaltenen Füße gegen die Wand zu stemmen. Bei
nassem Fels ist diese Körperhaltung die sicherste, um
im Falle eines Abrutschens nicht mit dem Gesicht am Felsen
aufzuschlagen. |
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Noch ziemlich unsicher behelfe ich mir, obgleich es nicht
nötig wäre, auch mit den Händen, um Abstand vom Fels zu
halten.
So werde ich etappenweise abgeseilt. Es geht locker und
zügig nach unten, die Felswand ist trocken, meine Schuhe
behalten immer festen Halt. Im Nu sind die wenigen Meter
geschafft und ich lande mit den Füßen im eiskalten
Wasser der nächsten Stufe. |
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Karabiner auf, Seil nach oben, jetzt ist die Tonne mit
dem Fotoapparat dran. Didi lässt sie vorsichtig heruntergleiten,
anschließend seilt er sich selber ab. |
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Eine Zeit lang verstehe ich nicht, wie er es schafft,
das Seil, dass ja in meinen Augen oben irgendwo befestigt
sein muss, von unten los zu machen und wieder einzuholen.
Dann fällt mir auf, dass er sich (im Gegensatz zu mir)
immer am doppeltem Seil abseilt. Das heißt, es ist oben
nicht fest gemacht, sondern bildet eine Schleife um einen
Baumstamm oder einen Felsen, die er anschließend,
durch Ziehen am einen Ende des Seils lösen kann. So geht
es von Abseilstelle zu Abseilstelle weiter. |
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Meistens ist die aktive Beteiligung meiner selbst gleich
null, was nichts anderes heißt, als dass ich mit dem Gesicht
zum Wasserfall und mit hängenden Beinen
wie ein Kartoffelsack hinuntergelassen werde.
An manchen Stellen bildet der vom Wasser ausgemergelte
Felsen eine natürliche Rutsche, die in den nächsten Tümpel
mündet. Didi vergewissert sich dann vorsichtshalber,
ob durch den letzten Regen nicht irgendwelche größere
Steine neu im Wasser gelandet sind, um sie gegebenenfalls
zu entfernen.
Da mir die Wassertümpel verdammt seicht zu sein scheinen,
ziehe ich es lieber vor, bei der Rutschpartie nicht mitzumachen,
und klettere anderweitig hinunter.
Manchmal, wenn ein Wasserfall etwas höher gerät und
ich beim Abseilen die eisigen Spritzer mit Wucht
ins Gesicht abbekomme, erhält die Aktion etwas
Prickelndes und es wird ein Quäntchen abenteuerlich. Meistens
bin ich aber von dem, was zu tun ist, so eingenommen,
dass ich an nichts anderes denken kann. Jedenfalls kommt
an keiner Stelle bei mir ein Gefühl auf, das ich auch
nur annähernd mit "Angst" bezeichnen könnte.
Wobei ich mich dem Eindruck nicht entziehen kann, dass
dieser Canyon doch, bei einem Minimum an Vorsicht, eine
ziemlich harmlose Sache ist. |
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Es ist die ungünstigste Tageszeit. Die Mittagssonne brennt
unbarmherzig von ihrem Zenit auf uns herunter und lässt
die Schatten knallhart werden, so dass ich kaum fotografieren
kann, sondern nur nach Stellen suche, die bei günstiger
Lichtrichtung doch noch ein gutes Foto abgeben könnten.
Erst weiter unten in der Schlucht verbessert ein leichter
Wolkenschleier diese Beleuchtung. |
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Diese Abhängigkeit des Fotografen vom Licht ist manchmal
sehr frustrierend.
Erst als wir uns - es sind schon Stunden vergangen - dem
angekündigten zwanzig Meter hohen Wasserfall, unserer
letzten Abseilstelle nähern, fange ich an, mich zu fragen,
ob sich nun endlich das erwartete mulmige Gefühl einstellen
würde. Als ich aber zusehe, wie seelenruhig Didi seine
Vorbereitungen trifft, zwei Seilschleifen um den massiven
Felsen legt und das Seil mit einem Achter so daran befestigt,
so dass er durch zurren und loslassen die
Bewegung des Seils voll in seiner Kontrolle haben kann,
ist auch der Anflug von Aufregung bald vorbei, und es
stellt sich völliges Vertrauen ein. |
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Der zurückgelegte Parcours, allein und ohne Klettererfahrung
durchaus gefährlich, ist durch die Professionalität des
Führers zur sicheren Sache geworden. Freilich ist die
Rolle, die man in dieser leichten bis mittelschweren Schlucht
selbst gespielt hat äußerst gering.
Jetzt ist es so weit. Rücken zum Abgrund stehe ich auf
der Kante mit den Füßen im Wasser. Diesmal versuche
ich gar nicht, mich mit den Beinen gegen die Wand zu stemmen,
dazu ist es hier zu glitschig, sondern lasse mich mit
dem Gesicht zum Felsen, bzw. zum Wasser, wie in einem
Aufzug sachte abseilen. Ich versuche nicht einmal mit
den Händen an der Wand aktiv einzugreifen. |
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Sofort wird es eisig und die Wucht des Wassers ein Erlebnis.
Und zum ersten Mal bekomme ich durch die Kraft
dieses Wassers ein berauschendes Gefühl für die Schönheit
und die Gewalt der Natur. Teilweise ist diese Wucht so
stark, dass mir fast die Schuhe von den Füßen gerissen
werden. Meine Arme, die nicht durch eine Neopren-Jacke
geschützt sind, fühlen sich bald wie Eisblöcke an.
Dann bin ich unten. Es ist geschafft. |
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