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Freitag, 1.
Mai 1997 |
Ein Reisebericht |
Das obere Ennstal scheint kaum mehr als eine Durchfahrtstraße
zu sein. Ununterbrochen und zähflüssig zieht
sich die Autoschlange die Straße entlang. Radstadt, Schladming, Wörschach und viele andere
Ortschaften, an denen ich vorbeifahre, fallen mir nur
dadurch auf, dass sie sich durch den Tourismus und die
Entwicklung maßlos aufgebläht und ihr ursprüngliches
Gesicht fast vollständig verloren haben. |
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Erst nach der Kreuzung bei Trautenfels, bei der
man in Richtung Norden ins Ausseer Land abzweigen kann,
werden die Ortschaften wieder überschaubarer,
obwohl mich auch hier keine zu einer Rast oder gar zu
einem längeren Aufenthalt reizt.
Beispiellos hässlich wird es bei Liezen, einem
Ort, der rücksichtslos verstädtert ist und mich
mit seinen Gewerbegebieten, Tankstellen, Supermärkten
und mehrstöckigen, klotzigen Wohngebäuden
entlang der Durchfahrtsstraße derart abstößt,
dass ich erst aufatme, als ich wieder draußen
bin. Die österreichische Unsitte, auch entlang
den Landstraßen riesige Werbeplakate zuzulassen,
erhöht kaum die Attraktivität dieser geschundenen,
ursprünglich aber sehr schönen Landschaft. |
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Erst nach der Abzweigung, die über Ardning und Frauenberg nach Admont führt, wird es wieder merklich schöner, die Landschaft öffnet
sich, der Verkehr lässt nach, die Dörfer werden
anmutiger.
Admont selbst ist eher unauffällig. Obwohl
in herrlicher Lage gelegen, hat es außer
einer Hauptstraße mit äußerst schlichten
Häusern nur die weltberühmte Stiftskirche als Anziehungspunkt. Diese hat es allerdings
an sich! Es handelt sich um den ersten großen neugotischen
Sakralbau Österreichs, der nicht nur nach außen
als weithin sichtbares Wahrzeichen in Erscheinung
tritt, sondern auch durch sein Inneres ein Kunstwerk
ganz besonderer Art darstellt. Der bedeutendste Anziehungspunkt
ist der majestätische Bibliothekssaal, der als größter
klösterlicher Büchersaal der Welt berühmt
geworden ist. |
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Bibliothek von Stift Admont (Foto von Jorge Royan / Lizenz) |
Ich will aber weiterfahren, und weil das Wetter so grau
und trostlos ist, kommen in mir starke Zweifel auf, ob es die Steiermark sein wird, die ich wie
ursprünglich geplant zum Hauptziel meiner Reise bestimmen
werde, oder eher ein vorerst nicht genauer definierte
„Süden“.Noch fühle ich mich völlig
offen. |
Verunsichert und mit gemischten Gefühlen
fahre ich also durch das berühmte Gesäuse,
das etwa 16 km lange Durchbruchstal der durch die
Kalkhochalpen wild fließenden Enns. Und hier,
am sogenannten Ennsdurchbruch, wo sich
der Fluss ungebändigt den Weg bahnt, wandelt sich
plötzlich die sanfte, beschauliche Szenerie
der Landschaft. Schlagartig beginnt eine Welt aus wild gewordenem
Wasser und bizarren Felsgestalten, die als Naturdenkmal
„Gesäuse-Eingang“ bekannt ist. |
Und jetzt endlich, als ich die Schönheit und die
elementare Kraft der Enns so unmittelbar erlebe, erwachen
in mir ein Interesse und eine Begeisterung, die meinem
bisher ziellosen Herumreisen eine Nuance von Sinnhaltigkeit
geben. In Gstatterboden überkommt mich sogar
ein kleines Hochgefühl. In dem kleinen Streudorf
scheint kein Gebäude junger als 100 Jahre zu sein.
Holzbauten, ein Bahnhof, ein Hotel der gehobenen Klasse
auf einer kleinen Anhöhe, viel mehr ist nicht da.
Nur die Unberührtheit der Bergwelt. Wäre da
nicht das bereits genannte Wetter, wäre die Verlockung
für mich groß, einmal hier zu übernachten.
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An der Steirischen
Eisenstraße |
Ich
fahre weiter. Hieflau wirkt von der Straße
aus wie ein ziemlich farbloser Ort, eine Mischung aus
heruntergekommenen alten Häusern und fantasieloser
Moderne. Kurz darauf lädt auch die berühmte
Industriestadt Eisenerz nicht gerade zum Verbleib
ein. Mag die Altstadt doch manche anziehende Ecken aufweisen
und sei die Umgebung auch noch so schön, sind es
eher die großen Arbeitersiedlungen wie das Voest-Werksgelände,
die den Gesamteindruck vermiesen. |
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Die gelbbraunen Stufen des Erzbergs, die zusammen
mit den Schneeresten, den Steinbrocken und den Wasserpfützen
zu einem riesigen abstrakten Muster geworden
sind, schaffen es immerhin, eine subtile Erregung bei
mir auszulösen. Unter dem düsteren Himmel bekommt
die kahle, von Menschenhand zerstörte Landschaftsenklave
beinahe Züge einer faszinierender Unterwelt. Es könnte,
käme auch nur ein einziger Sonnenstrahl durch die
graue Wolkendecke, ein beeindruckendes, düster-schauriges
Bild ergeben. Aber soll ich extra darauf warten? Etwa
in dieser Trostlosigkeit übernachten? Einen Augenblick
lang überkommt mich zwar die Versuchung, aber als
ich in der feuchten Kälte zu frösteln beginne,
ist sie vorbei. |
Ich fahre weiter. Es geht erst einige hundert Höhenmeter
bergauf, dann sanft wieder bergab in Richtung Süden.
Dabei reißen die Wolken auf, ein kräftiges
Blau bricht heraus und die Luft, endlich von dem beharrlichen
grauen Schleier befreit, wird klar. Das späte Nachmittagslicht
birgt bereits einen Hauch von Frühling in sich. Die
Landschaft und meine Laune kommen in Einklang. |
Durch die südliche
Steiermark |
Landschaftlich
ist die Steiermark wunderschön. Im Süden ist
bereits der Frühling eingetroffen. Die Wälder
geben ein herrliches Muster verschiedener Grünschattierungen
ab, die Apfelbaumblüte ist an ihrem Höhepunkt,
die Luft erstaunlich klar. |
Aber es wird mit großen Schritten dunkel und ich
habe noch immer keine Unterkunft gefunden. So komme ich
bald in Zugzwang und folglich auch in Stress. Und weil
die gesichtslosen Ortschaften entlang der Hauptverkehrsstraße
für mich nicht infrage kommen, suche ich in abseits
gelegenen kleineren Orten nach Übernachtungsmöglichkeiten
in Gasthäusern oder kleinen Pensionen. Leider sind
diese wegen der frühen Jahreszeit entweder noch geschlossen
oder - das Wochenende ist eingeläutet -
bereits ausgebucht. Es tut meinem Herzen weh, denn diese
hügelige Gegend nördlich von Graz hat gerade
jetzt im zarten Frühlingserwachen
etwas so Anmutiges und Archaisches, etwas so Beschauliches
und Bäuerliches, dass ich ins Schwärmen
kommen könnte.
Obwohl Graz die einzige größere österreichische
Stadt ist, die ich noch nicht kenne, zieht es mich
heute nicht dorthin. |
Als ich dort ankomme, ist es tatsächlich bereits
dunkel. Aber da mein Beschluss feststeht, kämpfe
ich mich nur, auf der Suche nach einer Ausfahrtstraße
in Richtung Süden, mühsam durch die Stadt.
Nur raus, denke ich im Lärm und im Chaos des Verkehrs,
und bohre die Scheinwerfer in die Dunkelheit.
Endlich finde ich in Stainz, einem kleinen Städtchen,
von dem mir immerhin bekannt war, dass hier ein bekannter
Faschingsumzug stattfindet, eine Bleibe. |
Samstag, 2.
Mai |
Riegersburg,
mittags |
Frühlingswetter,
Leere im Kopf, Stimmung in leichtem Anstieg. |
Lebte ich irgendwo auf dem Land, würde ich ein Haus
bauen, es mit Sprossenfenstern und einer alten Holztür
versehen und an der Außenwand einen Rosenstock
pflanzen. Die
Hausfassade und die Tür würde ich in zarten,
untereinander abgestimmten Pastelltönen streichen
- aber nur ein einziges Mal, dann nie wieder. Ich würde
dann darauf warten, dass die Sonne, der Wind und das Wetter
die Farbe langsam verblassen ließen, dass der Putz
allmählich abbröckelte, und dass das Haus
sich in ein abstraktes Kunstwerk verwandelte. |
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Wenige Dinge
verzaubern mich so sehr wie die Patina von alten
Häusern. Vielleicht ist es auch darauf zurückzuführen,
dass sie meine Sehnsucht nach einer Welt, wie sie früher
einmal war, erfüllen und mir damit das beruhigende
Gefühl von der Beständigkeit der Zeit vermitteln. |
Nun, der Nachkriegswohlstand hat auch in Österreich
solchen Häusern größtenteils
den Garaus gemacht. Manche Dörfer hier in der Südlichen
Steiermark scheinen überhaupt erst in den letzten
zwanzig Jahren entstanden zu sein, so manikürt sehen
sie aus, so perfekt renoviert, frisch gestrichen, so langweilig
gleicht ein Gebäude dem anderen. Nicht dass sie besonders
hässlich wären, die Zeiten der Einheitskippfenster
ohne Sprossen scheinnen auch hier vorbei zu sein und man
baut wieder mehr an die Tradition angelehnt. Was den Häusern
aber fast ausnahmslos fehlt, ist die Geschichte, die gelebte
Zeit und somit gewissermaßen die Seele.
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Sonntag,
3. Mai |
Riegersburg |
Der
Fremdenführer könnte ein Double des vom österreichischen
Fernsehen bekannten Prof. Hugo Portisch sein.
Und ebenso wie dieser kann er interessant vortragen, und
er schafft es auch blendend, mit im richtigen Kontext
erläuterten Details die Besucher aus der Langweile
herauszureißen, die sonst bei solchen Führungen
üblich ist. |
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Der Rittersaal, der gewaltigste Raum der Burg, ist 169
qm groß. Seine drei bis zur Decke reichenden doppelstöckigen
Türportalaufbauten haben prachtvolle Intarsien und
sind zusammen mit der im selben Stil gehaltenen
Kassettendecke an Üppigkeit kaum zu
überbieten. Bestechend ist dabei der Gedanke,
dass allein dieser Saal die doppelte Größe
einer durchschnittlichen modernen Stadtwohnung
hat. |
Eingeritzt in eine alte Butzenscheibe (16 Jh.) des Nordfensters
dieses Saales kündet eine Inschrift von einer
großen Sauferei, die drei Wochen lang gedauert haben
soll: „Anno 1635, den
6. April, hat das Sauffen angehebt und Ale Tage ein Rausch
gegeben biß auf den 26. Detto". |
Dieser Raum, der laut Führer zum Schönsten gehört,
was aus der Renaissance in Österreich erhalten geblieben
ist, „zwingt“ mich beinahe dazu, innezuhalten,
mich aufs Ambiente zu konzentrieren, den Versuch zu machen,
alle Besucher wegzudenken und der heutigen Zeit
in Gedanken zu entfliehen, um, wie mit einer Zeitmaschine,
im Mittelalter zu landen. |
Der Führer hilft mir dabei, indem er von Elisabeth
Katharina von Wechsler erzählt, die 1648 Alleinbesitzerin
der Burg wurde und zu den schillerndsten Persönlichkeiten
des damaligen Landadels zählte. Sie hielt ihre Zeitgenossen
mit allerlei Streitigkeiten und Prozessen – es sollen
über hundert gewesen sein - in Atem, und wurde deshalb
die „schlimme Liesl“ genannt. Sie war drei Mal
verheiratet, zuletzt als 60-jährige mit einem 27-jährigen
Mann. |
Ich erfahre auch Spannendes über die in der damaligen
Zeit üblichen Hexenverfolgungen. Anlass
für alle großen Prozesse – von 1689 bis 1690
wurden insgesamt 39 Personen wegen Hexerei hingerichtet
– waren oft schwere Hagelwetter, die die Vernichtung der
Ernte zur Folge hatte. In der damaligen Zeit war es für
den einfachen Menschen unfassbar, wenn der Hagelstrich
zwar seinen Grund verwüstete, aber knapp an der Grenze
zu den Feldern seiner Nachbarn endete. Prozesse gegen
Hexen wurden aber nicht nur wegen Schlechtwetterzauberei,
sondern auch wegen angeblicher Pakte mit dem Teufel oder
dem Fliegen auf verschiedenen Gegenständen geführt.
Über welchen Aberglaube unserer Zeit werden
unsere Nachfahren einmal die Stirn runzeln? |
Beachtenswerte ausgestellte Objekte sind auch Marterinstrumente
wie die berühmte „Eiserne Jungfrau",
eine hölzerne, sargähnliche Kiste, bei der auf
der Innenseite des Deckels Stahldornen verschiedener Länge
angebracht waren. Mit einer entsprechenden Vorrichtung
konnte der Deckel langsam geschlossen werden, wobei
sich die Dornen nacheinander in den Körper des unglücklichen
Opfers bohrten. |
1822 kaufte Fürst Johann Josef von und zu Lichtenstein die Riegersburg. Dieser Fürst war sehr wagemutig.
Er verlor im laufe der Zeit 16 Pferde beim Kämpfen,
ohne dass er sich selbst ernsthaft verletzte. Auf einem
Bild sieht man ihn, wie er mit seinem Pferd die gegnerische
Infanterie überspringt. Von ihm stammen alle lebende
Lichtensteins ab. |
Prinz Friedrich von Lichtenstein, ein Zeitgenosse, muss
diese Leidenschaft fürs Fotografieren wohl geerbt
haben, in einem kleinen Saal zum Abschluss des Weißen
Saals ist eine Ausstellung von Familienfotos sowie stimmungsvolle
Farbfotos von Landschaften mit und in der Nähe der
Burg ausgestellt.
Die Personen bekommen durch solche Bilder und die anekdotenreiche
Erzählung immer klarere Konturen, und werden dadurch
interessant, oft menschlicher, sympathisch. |
Fürst Wenzel Graf von Purgstall, beispielsweise,
galt als gelehrt und sehr exzentrisch, er ließ sich
nach seinem Tode ausstopfen und wurde für eine kurze
Zeit im naturhistorischen Museum in Wien ausgestellt,
bis die Familie dagegen schließlich Einwand erhob. |
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