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Bodental (Karawanken) - ein Reisebericht |
Später Nachmittag. Leises, honigsüßes
Jodeln und eine nicht weniger rührselige Zithermusik
haben den halb leeren Gastraum in Beschlag genommen und
in ein flaumiges Ruhekissen der Seele verwandelt. Aber
selbst wenn ich mich noch so bereitwillig und kritiklos
darin fallen lassen möchte, selbst wenn ich mich
in dieser Süße wohlfühle, ich könnte
der Frage nicht ausweichen, ob solche Musik überhaupt
noch in unsere Zeit passt. Steht nicht die Popmusik amerikanischer
Prägung der alpenländischen Jugend weit näher
als diese Volksmusik? Haben die Alten und die Traditionsgebundenen
überhaupt noch was zu melden? Wenn ich freilich nur
auf meine innere Stimme höre, dann weiß ich
es sofort: Solch eine tief in der Heimat verwurzelte Musik
hat in diesem einsamen, auf über tausend Meter gelegenen
Gasthof in Südkärnten, von dem man einen Atemberaubenden
Blick auf die Karawanken genießen kann, sehr wohl
noch ihre Daseinsberechtigung. |
Der Imperialismus
der Popmusik scheint fern zu sein, er wäre, so denke
ich, hier ebenso fehl am Platze wie ein Fast-Food-Restaurant
oder eine klischeehafte amerikanische Fernsehserie.
Ziehharmonika, Zither, Mundartgesang, Walzerrhythmen
und Ländler, es ist eine langsame, für die vom
Alltag geschundenen Nerven sehr wohl tuende Musik,
von der ich mich hier sanft beschallen lasse. |
Hier, in diesem gemütlichen Berggasthof Lausegger [], das die Abgeschiedenheit gepachtet zu haben scheint, genieße ich die Einsamkeit, die Ruhe und die Natur. |
Am Nebentisch unterhält sich mit leiser Stimme ein
älteres Ehepaar. Ich höre mit Behagen aus ihrer
Sprache den unverwechselbaren, charmanten österreichischen
Akzent, den ich so liebe. Vielleicht bin ich dem Mann
aber auch deshalb so wohlgesinnt, weil er mich ein wenig
an meinen Vater erinnert: Er hat den gleichen Haaransatz,
die gleichen Lippen, ein ähnliches Profil und ein
paar weitere gleichartige Details, die ich nur schwer
beschreiben kann. Es ist unglaublich, wie beruhigend es
auf mich wirkt, Menschen um mich zu sehen, die „meinem“
Volkstyp angehören, die „meiner“ sozialen
Schicht angehören, oder die mich an jemanden erinnern,
den ich kannte oder mochte. So klammert sich der Mensch
an das „sichere“ Gewohnte. Darin liegt wohl
auch der Ursprung jeglichen Rassismus. |
Es geht ruhig zu in dieser Frühsaison. Draußen
ist es bereits dunkel. Der Wirt steht hinter der Theke
und unterhält sich mit gedämpfter Stimme mit
drei älteren Männern aus dem Dorf. Sonst ist
die Gaststube leer. Als sie im Laufe der Unterhaltung
auf das herrliche Alpenglühen zu sprechen kommen,
dass es heute Früh gegeben hat, mische ich mich kurz
ins Gespräch ein. Früh am Morgen, während
das Tal noch grau und fahl ist, die Bergesspitzen aber
im Widerschein des Morgenrots tief in Rot glühen,
da muss es herrlich sein. Der Gedanke an dieses Erlebnis
beflügelt meine Fantasie. Der Wirt verspricht, dass
er mich, sollte das farbenprächtige Phänomen
morgen wieder auftreten, bei Sonnenaufgang wecken wird.
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Montag, 4. Mai |
Eine Bergwanderung |
Kein
Alpenglühen heute Morgen. Dafür kann ich ausschlafen,
ohne Hast frühstücken. Zu mir kommen. |
Es ist noch nicht wirklich Frühling hier oben. Das
Wetter ist zwar schön, aber ein leichter Schleier
hindert die Sonne daran, mit Kraft ihre wärmende
Wirkung auszuüben. Viel habe ich mir für
heute jedenfalls nicht vorgenommen. Einen Tag zu verbringen,
ohne ins Auto zu steigen, das ist bereits eine Belohnung.
Mehr als etwas Entspannung, frische Luft und
schöne Aussichten suche ich sowieso nicht! |
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Mein Ziel ist eines der beliebtesten Ausflugsziele
Südkärntens, die berühmte „Märchenwiese“
mitten im Naturschutzgebiet Inneres
Bodental - Vertatscha. []. Mühelos
und in so kurzer Zeit, dass ich fast darüber enttäuscht
bin, erreiche ich über Forststraßen
und eher flachem Gelände die Stelle. Der berühmten
Wiese scheint aber jegliche Besonderheit zu fehlen und
sie wirkt so bescheiden und unauffällig,
dass ich mich fragen muss, womit sie ihren hochklingenden
Namen verdient hat. Dieser nüchterne Eindruck
beruht vermutlich nur auf der Tatsache, dass es noch
viel zu früh im Jahr ist. Ich dachte, ich würde
hier einen beeindruckenden bunten Blumenteppich auffinden.
Immerhin kann ich von hier einen Blick auf die Vertatscha-Nordwände werfen und die Aussicht genießen. Eine Zeit lang
verweile ich nichtstuend auf einer Bank und genieße
die schwachen Sonnenstrahlen, dann marschiere ich stramm
weiter in Richtung Berge, obwohl sich der Himmel immer
wieder zuzieht. |
Es vergeht keine Stunde, da bleibt der
Wald zurück und ich zweige in ein großes, von
Latschen bedecktes Kar ab. Weil ausreichende Markierungen
fehlen, fällt es mir allerdings schwer, mich zu orientieren
und aus meinem Wandern wird ein zielloses Umherirren auf
schwerem Geröll und in zum Teil tiefen Rinnen,
durch Latschenbestände auf kaum erkennbaren
Steigspuren. |
Nach nicht allzu langer Zeit deklariere ich meine bergsteigerischen
Ambitionen für erschöpft und suche mir eine
ruhige Stelle auf einem flachen Stein, um mich ein weiteres
Mal dem Nichtstun und dem Genießen der schwachen
Sonnenstrahlen hinzugeben. Rechzeitig zur Kaffee-und-Kuchen-Zeit
bin ich wieder im Gasthof zurück. |
Lebenslinie |
Die
jung aussehende Wirtin kann sich nur schwer vorstellen,
woanders zu leben als hier, in ihrem kleinen Dorf in den
Karawanken. Urlaubsreise? Das sei für sie ein Fremdwort,
dass bei ihr nicht oben auf der Wunschliste stehe. Nur
einmal im Jahr fahre sie mit der Familie und dem Schwimmverein
nach Kroatien. Aber
schon am zweiten Tag spüre sie Sehnsucht nach zu
Hause, nach ihren geliebten Bergen. Sie macht einen durchaus glücklichen Eindruck auf mich. |
Ich versuche mir vorzustellen, ob ich mir so eine Art
Leben vorstellen könnte: Jeden Tag in der Küche oder hinter der Theke
stehen, Stammgäste oder Fremde bedienen, immer wieder
die gleichen Gesten ausführen, ähnliche Gespräche
führen, vielleicht am Sonntag der Kirchenbesuch, ab und zu die Fahrt in den nächstgelegenen größeren Ort. Und dabei immer mit dieser wunderschönen
Bergkulisse konfrontiert sein, morgens und abends, bei Regen und
Sonne, Wind oder Schnee. |
Für mich hat das etwas Faszinierendes und
Abschreckendes zugleich. Würde ein solch ewig
wiederholter Ritus nicht zwangsläufig auch zu immer
gleichen Gedanken führen? Ich stelle mir vor, dass
das wiederholte Erleben des Gleichen eine Abhängigkeit
erzeugen könnte, die jener von Drogen nicht unähnlich
ist. Und doch ist etwas subtil Mitreißendes am Gedanken
an so eine Art Leben in einer Abgeschiedenheit, die nur durch Radio und Fernsehen verringert wird. Plötzlich stelle ich fest,
dass mein Alltag, wenn auch auf eine andere Art, nicht viel abwechslungsreicher ist! Nur die Palette des Möglichen ist größer! |
Dienstag, 4.
Mai |
Zwei Volksgruppen |
"Obi
schaun, hoit. I mog des net, am Strand liagn." So drückt der Mann vom Nebentisch seine Absicht aus,
seine in Kürze stattfindende Mallorca-Reise in einen
Wanderurlaub umzufunktionieren. |
Es ist gemütlich in der warmen Stube. Das ruhige
Gewissen des Tatkräftigen, der die Müdigkeit
seiner gestrigen Wanderung noch wohlig in den Knochen
spürt, ist die ideale Voraussetzung, um diese Abgeschiedenheit
noch mehr zu genießen. |
Ich lese und grüble. Ab und zu greife ich zum Notizblock,
um ein paar dieser Gedanken festzuhalten. Irgendwann dringen
Ziehharmonika-Klänge in mein Bewusstsein. Dazu paart
sich Gesang - in einer Sprache, die ich nicht verstehe.
Es kann keine Mundart des Österreichischen sein,
die ich da höre: „Hansi", der Bergführer,
singt auf Slowenisch []. |
Neugierde ergreift mich, wie es mir während dieser
Reise, beim Beobachten von Grabsteinen in einem Friedhof
und Bildstöcken mit slawischen Inschriften, schon
ein paar Mal ergangen ist. Sie weisen darauf hin, dass
Kärnten ein Land zweier Volksgruppen ist. Etwas drei
Prozent der Bevölkerung besteht nämlich aus
Slowenen. |
Ein
paar Fakten über Slowenen in Österreich |
Die
historische Einheit Kärntens als Land mit zwei Sprachen
und zwei Kulturen war mit dem Zerfall Österreich-Ungarns
jäh zu Bruche gegangen. Das nationalistische
Prinzip hatte gesiegt. Zwei Mal versuchte Jugoslawien,
nach dem ersten und dem zweiten Weltkrieg, Südkärnten,
wo es einst einen beträchtlichen slowenischen
Bevölkerungsanteil gab, zu annektieren. Ohne Erfolg,
denn Kärnten blieb ungeteilt bei Österreich.
So ist das Verhältnis zwischen deutschsprachigen
Kärntnern und ihren slowenischsprachigen Mitbürgern
auch heute noch nicht frei von Vorurteilen, Aversionen,
Ängsten. |
1918, nach dem Zusammenbruch der Habsburger Monarchie,
entwickelte sich zwischen der Republik Österreich
und dem neu gegründeten „Königreich der
Serben, Kroaten und Slowenen", das aus der Vereinigung
der Südslawen des Habsburger Reiches und des Königreichs
Serbien entstanden war, ein Streit um die mehrheitlich
slowenisch besiedelten Gebiete Südkärntens. |
Der neu entstandene Staat (der später in Königreich
Jugoslawien umbenannt wurde) versuchte mit Waffengewalt,
große Teile Kärntens seinem Staatsgebiet anzuschließen.
Slowenische Freischärler fielen in Kärnten ein
und versuchten, vollendete Tatsachen zu schaffen. Ihnen
warfen sich (ohne Hilfe Wiens) ab Dezember 1918 bunt
zusammengewürfelte, nur unzureichend bewaffnete Kärntner
Freiwilligenverbände, Kärntner Abwehrkämpfer genannt, entgegen. Sobald reguläre Einheiten
der jungen jugoslawischen Armee nachrückten, brach
aber die Kärntnerische Heimatfront zusammen. Es kam
zur Errichtung einer jugoslawischen Militär-
und Zivilverwaltung in großen Teilen Kärntens. |
Dank der von den Siegermächten angeordneten Volksabstimmung
vom 10. Oktober 1920 konnten jedoch weit gehende
Gebietsforderungen auf den ganzen Südkärntner
Raum zurückgewiesen werden und die Einheit des Landes
erhalten bleiben. |
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Bei dieser Volksabstimmung stimmten trotz massiver Druckausübung
der jugoslawischer Zivil- und Militärverwaltung
auf die österreichisch gesinnte Bevölkerung 59 % für den Verbleib bei Österreich! Eine Mehrheit
der Slowenen (vor allem Bauern) stimmte für einen
Anschluss an Jugoslawien, die anderen (vor allem die sozialdemokratisch
beeinflussten slowenischen Arbeiter) für den Verbleib
bei Österreich. Als Ausschlag gebend für das
Abstimmungsergebnis stellte sich das Vertrauen der Kärntner
Slowenen zur historischen Einheit des Landes heraus. |
Durch diese Volksabstimmung wurde die Karawanken-Grenze
als Grenze mit Österreich festgelegt. Aufgrund der
von den Siegermächten festgelegten Grenzen Sloweniens blieben etwa 90.000 Slowenen in Österreich, 400.000
in Italien und 7.000 in Ungarn. Dabei verlor Slowenien ein Drittel seines Volksgebiets. Obwohl den Slowenen in
Kärnten formell Minderheitenrechte zuerkannt wurden,
erwies sich die 1. Republik als nicht sehr minderheitenfreundlich. |
1938 kam es auch in Kärnten zur nationalsozialistischen
Machtübernahme. Nach dem Überfall des nationalsozialistischen
Deutschland auf Jugoslawien 1941 erfolgten Repressalien
gegen die Slowenen: Die slowenischen Organisationen wurden
verboten, deren Vermögen beschlagnahmt; die bis dahin
bestandenen zweisprachigen Schulen wurden geschlossen;
zahlreiche Slowenen wurden in KZs ermordet, Hunderte slowenische
Familien aus Kärnten ausgesiedelt, was ein Übergreifen
der slowenischen Partisanenbewegung auf Kärnten zur
Folge hatte. |
Nachdem bereits einen Tag vor der am 8. Mai 1945 erfolgten
endgültigen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht
in Kärnten eine provisorische demokratische Regierung
gebildet worden war, drohte Kärnten mit dem gleichzeitig
erfolgten Einmarsch der kommunistischen Partisanenarmee und der Proklamation der jugoslawischen Militärgewalt
die Fortsetzung der Diktatur. Nur die auch ab dem
8. Mai 1945 erfolgte Besetzung Kärntens durch die
Briten verhinderte die bereits angekündigte Annexion
Kärntens durch Jugoslawien. Über Druck der britischen
Besatzungsmacht mussten die Tito-Truppen am 22. Mai 1945 Südkärnten nach vierzehntägiger Schreckensherrschaft
räumen. |
Bereits mit dem Beginn der 2. Republik wurde im Oktober
1945 eine neue Schulverordnung erlassen: In allen Schulen
Südkärntens bestand nun Pflichtunterricht
in beiden Landessprachen. |
Im Staatsvertrag 1955, der Österreich Freiheit und
Souveränität brachte, wurden in Artikel 7 den
nationalen Minderheiten recht vage Zugeständnisse
eingeräumt, die slowenische Sprache wurde in wenigen
regionalen Nischen zugelassen, Gesamtkärnten
blieb rein deutschsprachig. |
Erst die sozialdemokratische Alleinregierung Kreiskys leitete vorsichtige Reformversuche ein. 1972 beschloss
der Nationalrat das sogenannte Ortstafelgesetz, das laut
Artikel 7 des Staatsvertrags in gemischtsprachigen Orten
Kärntens die Errichtung zweisprachiger Ortstafeln
vorsah. Diese Regelung stieß bei einem Teil der
Mehrheitsbevölkerung auf erbitterten Widerstand.
So sehr lastete noch die kollektive „Urangst“
der Deutsch-Kärntner von einem geteilten Land. Es
kam zum sogenannten Ortstafelsturm. Illegale Demonstrationen
und Demontagen der Ortstafeln verhinderten die Umsetzung
des Gesetzes. |
Erst nach einer langen Diskussion in der von Kreisky eingesetzten
Ortstafelkommission wurde 1976 mit dem
Volksgruppengesetz eine Regelung getroffen, nach der zur
Zulassung der Zweisprachigkeit eine „Minderheitenfeststellung“
vorausgesetzt werden sollte. Die Quote wurde
mit 25% festgelegt. Aber erst m April 2012 erhielten 164 Ortschaften in Kärnten endgültig zweisprachige Ortsschilder und Wegweiser. Somit hat Kärnten jetzt alle zweisprachigen Tafeln aufgestellt. |
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