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Gedenkstätte
auf dem Monte San Michele - ein Reisebericht |
Der Monte San Michele war
im Ersten Weltkrieg ein wichtiger Stützpunkt der
österreichisch-ungarischen Streitkräfte. Er
wurde vom italienischen Heer erst nach wiederholten
heftigen Kämpfen erobert. Heute gibt es auf dem
Berg ein interessantes Geschichtsmuseum mit vielen
Spuren des 29-monatigen Krieges (1915-1918): Lauf- und
Schützengräben, weit verzweigte unterirdisch
ausgebaute Tunnels, Kavernen, die zuerst österreichische
Unterstände waren, dann italienische Artilleriestellungen,
Denkmäler und Gedenksteine und ein Ehrenmal, das
an die Toten erinnert. |
Und auch hier ereilt mich – auf Gedenksteinen und -tafeln
noch unverändert zu lesen – die gleiche nationalistische
Heldenrethorik meiner Schulbücher. Es gab in diesem Krieg
zwischen neun und zehn Millionen Tote und drei mal so
viel Verletzte, wovon acht Millionen körperbehindert,
blind oder entstellt blieben, ohne die Millionen
Kriegsneurotiker zu zählen, die kein
„normales“ Leben mehr führen
konnten. Der Krieg zerstörte die Ordnung im Leben
der meisten Menschen, aber an dieser Stätte
sind die Worte über die Sinnlosigkeit dieses Gemetzels
Mangelware und allerorts sind noch überholte Begriffe
wie „Sieg", „Vaterland“ und „Heldentum“
(natürlich jenes der Italiener) zu finden, die
zu einem vereinten Europa ganz und gar nicht mehr passen.
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Aber es sind auch ein paar Fakten aufgeführt, die
ich mir zu Gemüte führe. Großvaters
Beschreibung bezog sich auf die erste Isonzo-Schlacht,
weitere 11, teilweise weiter im Osten geführte
apokalyptische Schlachten folgten. Sie fanden dann in Caporetto ein (vorläufiges) Ende.
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Die Verluste der Italiener allein bezifferten sich auf
über hunderttausend. Piero, ein geschichtskundiger
italienischer Freund, erklärte mir einmal, wie
grausam das italienische Kommando damals gegen seine
eigenen Menschen vorgegangen war. Es hatte die Soldaten
Welle nach Welle und ohne jegliche Rücksicht in
diese Schlacht und somit in den sicheren Tod geschickt.
Piero erzählte auch, dass er als Kind noch mit
einem sehr alten Mann gesprochen hatte, der damals von
seinem Vorgesetzten gezwungen worden war, einen ganz
jungen Burschen zu erschießen, der desertiert
hatte. |
Österreich vs. Italien |
Das unmittelbare und hautnahe Erleben dieser historischen
Stätte und der persönliche Bezug über
Großvaters Tagebuch wecken bei mir das Interesse
für eine Geschichte, die mir bislang
nur in der Schule, und das von einer sehr einseitigen,
bei mir Widerwillen verursachender Warte
präsentiert wurde.
Jetzt aber suche ich mit großer Wissbegierde all
diese Stätten auf der Landkarte und lese, als wäre
es ein spannender Krimi, die Seiten eines Buches des
Historikers Heinz Von Lichem über diesen
Krieg. Plötzlich ist für mich alles lebendig
geworden, spannend, aktuell. |
Und viele Fragen,
die mich irgendwann bereits beschäftigt haben,
tauchen wieder auf: Welche Völker lebten hier? Wie lebten sie unter K.u.K. zusammen? Wie veränderten sich die Grenzen
jeweils nach dem 1. Und 2. Weltkrieg? |
Und immer absurder erscheint mir dabei dieses unaufhörliche,
dumme Töten und Zerstören für ein paar
qkm Land, das immer und immer wieder den Besitzer wechseln
muss und dadurch nur immer neue Minderheiten und unsinnige
Vertreibungen erzeugt. |
Es
wird den ganzen Nachmittag erbarmungslos, trostlos, fürchterlich
gießen. Ich bin noch ganz betroffen von dem Besuch
auf dem Monte San Michele, da kommen bereits
die ersten schweren Tropfen. Anfangs spüre ich das
Tröpfeln nur zaghaft, und es ist in der dumpfen warmen
Luft fast angenehm. Ich sehe die einzelnen dunklen Flecken
auf den Boden wie aus dem Nichts erscheinen, ich sehe,
wie sie zahlreicher und größer werden und wie
sie allmählich beginnen, untereinander zu verschmelzen. |
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Der triste Landregen, der darauf folgt und meine Fahrt
in Richtung Norden begleitet, schafft es, meine
Laune wieder zu einem Tiefpunkt zu führen, der in
ein schwermütiges Philosophieren über die Vergänglichkeit,
über die Sinnlosigkeit der „nationalen“
Gedanken und über die Erfahrungen, die ich als Kind
mit meinem „Fremdsein“ in der Schule gemacht
habe, endet. |
Wie sehr hasste ich diesen Geschichtsunterricht, in dem
die Österreicher immer die Rolle der „Bösen“
und der Unterdrücker spielten und die Italiener die
der Helden, und natürlich der Tapferen. Ob in den
italienischen Schulen der Geschichtsunterricht wohl
auch heute noch so einseitig und chauvinistisch ist? |
Ich lese mit derart großem Interesse in Von Lichems Buch über die damaligen Kriegsgeschehnisse und diese
blutigen Schlachten, als ob ich den vergessenen Geschichtsunterricht
nachholen müsste. Ich bin so gefangen von der Schilderung
dieser Ereignisse und ich ergreife beim Lesen wieder mit
solcher Leidenschaft Partei für Österreich,
als fände in diesem Buch die Revanche statt. |
Da gab es also die ersten sechs Isonzoschlachten, bei denen
es den Italienern unter General Cadorna gelang, die Gegend südlich
von Görz (Monte San Michele, Hochplateau
von Doberdò) zu erobern. Es waren verbissene,
blutige Stellungsschlachten, Massenangriffe die für
Tausende den Tod bedeuteten, und ununterbrochener Artilleriebeschuss.
Insgesamt hielt aber die Österreichisch-Ungarische
Front. |
In den weiteren Schlachten verstärkte sich das Gemetzel.
In der 11. Isonzo-Schlacht steigerte Cadorna schließlich
seine Angriffskraft auf eine Million Kämpfer – hier
sieht man, welche Lügen die Kriegsrethorik hervorbringt,
denn es wird, bei einer unbestreitbaren Überlegenheit,
von einer „inferiorità per numero e per
mezzi“ (Unterlegenheit an Zahl und Mitteln) gesprochen
–, ohne jedoch seinem Ziel, Triest zu erobern, näher
zu kommen. |
Ich zitiere aus Von Lichems Buch:
"Die eiserne Isonzo-Mauer
Österreich-Ungarns bekam trotz ungeheuren Menschenopfern
keinen Riss. Dann setzten das Österreichisch-Ungarische
Heer zusammen mit den deutschen Verbündeten auf den
großen Schlag an. Am 24. Oktober 1917 beginnt es.
Angriff von allen Berggipfeln von der Flitscher Klause
bis südlich von Tolmein (in den Julischen Alpen,
heute Slowenien). Unvorstellbar muss jenes Bild gewesen
sein, als sich auf die Sekunde genau um 8 Uhr morgens
des 24. Oktober 1917 vom Rombon bis zur Hermada am Meer
die Männer in Bewegung setzten. Am 27. Oktober, nach
andauernden Kämpfen, in denen die Schlacht auch nicht
eine Sekunde anhielt, waren Flitsch-Tolmein-Karfreit durchbrochen,
war die italienische Front am mittleren Isonzo und am
Unterlauf überrannt
worden. Vom 1. Bis 10. November wird die Tiefebene förmlich
überrannt. Dann standen die Heere am Piave. Die Italiener
hatten insgesamt eine Million Mann verloren (Tote, Verwundete,
Deserteure) und nahezu das gesamte Kriegsmaterial. Ein
ungeheurer, nie erwarteter Erfolg war erreicht worden." |
Karfreit ist übrigens der deutsche Name
für Caporetto (Slowenisch Kaborid).
Beim Lesen dieser Ereignissen merke ich, wie unmöglich
es ist, unparteiisch zu sein. Mit Spannung setze ich
meine Lektüre fort, als ob der Ausgang des Krieges
noch völlig offen wäre. In Wahrheit bleibt
mir nur die Unwissenheit, über „wie“
es passierte. |
"Am Ostufer des Piave
wurde den österreichisch-ungarischen Truppen der
Befehl zum Abbruch der Offensive, gegen den Willen von
nahezu 100% des Offizierskorps
und der Mannschaften gegeben. Dieser Befehl wurde der
Anlass zum Untergang Altösterreichs und führte
in weiterer Folge dazu, dass der deutsche Verbündete,
zu Recht verärgert, seine Truppen am Piave sofort
nach Erteilung jenes Befehles abzog. Hier verspielte Österreich-Ungarn
den Sieg, das Armee-Oberkommando Österreich-Ungarns
hat in diesen Tagen am Piave vollkommen versagt. Man ließ
den Italienern die Zeit, dass sie mit Hilfe englischer
und französischer Truppen das Piave-Westufer uneinnehmbar
machen konnten." |
"Muti passaron quella notte i fanti, tacere bisognava
andare avanti ... e il Piave mormorò, non passa
lo straniero
“ (Schweigend verbrachten
jene Nacht die Soldaten, man musste schweigen, man musste
vorwärts marschieren ... und der Piave flüsterte:
Der Feind wird nicht durchkommen!). Wie oft musste ich
als Kind diese Lieder über mich ergehen lassen und
sogar mitsingen - und das viele Jahre nach dem „Zweiten“
Weltkrieg! |
Der gleichen nationalen Gesinnung, die Italien in den
ersten Krieg trieb, sind auch die territorialen Verluste
an Jugoslawien zu verdanken. Jetzt erst sehe ich alles
im richtigen Licht. Heim ins Reich bei den Südtirolern,
gefolgt von Mussolinis Italienisierungs-Kampagne [], Vertriebene
aus den Sudeten, vertriebene Slowenen aus Kärnten,
Flüchtlinge aus Istrien, wie sehr ähneln sich
alle diese „ethnischen Säuberungen“. |
In einem gewissen Sinn verdanke ich dieser nationalistischen
Gesinnung aber meine erste Freundschaft in Italien. Denn die Familien meines Freundes Guido Familie gehörte zu denen, die nach dem 2.
Weltkrieg aus Pola (Istrien) vertrieben
wurde, weshalb er noch als Kind nach Italien kam. Heute
heißt seine Heimatstadt Pula und gehört
zu Kroatien. |
Erst jetzt wird mir bewusst, dass das ganze Wohnviertel,
wo Guidos Familie in Genua einstmals wohnte, allesamt
aus Flüchtlingswohnungen bestand. Das erklärt
auch die Namen der Straßen, via Podgora, via Gorizia ... , alles Namen, die ich jetzt auf meiner Reise wieder
finde, so wie die vielen von Großvater genannten
Ortschaften, denen ich mühsam auf der Karte nachgespürt
habe. |
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