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Etappe in Slowenien - ein Reisebericht |
Über den Loibl-Pass fahre ich nach Slowenien.
Auf der Passhöhe selbst verursacht ein teilweise
böiger, pfeifender Wind eine leicht gruselige, aber
beeindruckende Stimmung. Leider nur vorübergehend.
Denn die Landschaft ist allerorts bereits in ein derart
tristes Grau gehüllt, dass mich der Gedanke, die
landschaftlichen Schönheiten dieses kleinen
Landes zu erforschen, nicht sehr überzeugt. Vielleicht
kann ich ein paar Eindrücke sammeln für eine
weitere Reise, lange will ich mich unter diesen Umständen
nicht in Slowenien aufhalten, mich drängt's zum Meer. |
Bled |
Zu behaupten, dass der Ort potthässlich
sei, trifft den Nagel nicht genau auf den Kopf. Denn es
gibt ihn schlicht und einfach nicht, bzw. er besteht nur
aus einigen riesigen Hotelbauten im sozialistischen
„Fortschritt-Baustil", die das Seeufer verschandeln.
Das war's dann (sieht man von der Burg ab) auch schon. |
Wenn man aber ein Auge schließt und dazu noch von
der Burg auf den See hinunter schaut und auf die kleine
Insel mit der barocken Wallfahrtskirche,
wenn man dazu noch die imposante Bergkulisse
genießt, dann verschwindet der Ort
selbst inmitten dieser Schönheit wie ein unwesentliches
Detail. |
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Diese Burg erhebt sich auf einem senkrecht abfallenden
Felsvorsprung fast 100 m über dem See. Und es ist
wohl hauptsächlich der herrliche Ausblick auf See
und Alpen, die die Burg (und somit Bled) zu einem attraktivem
Ausflugsziel macht. Auf den Werbeprospekten sieht man
auch eigenartig aussehende Boote, die Bleder Gondeln,
mit denen der Tourist zur idyllischen Insel übersetzt
werden kann. |
In einer Pizzeria
in Postumia |
Draußen in der Dunkelheit prasselt der Regen in
endloser Gleichmäßigkeit herab. Während
ich mich verloren in meiner Gedankenwelt aufs Schreiben
konzentriere, ist mir bewusst, dass ich für mich
allein bin und dass mich niemand im ganzen Lokal auch
nur im Geringsten wahrnimmt, abgesehen vielleicht von
dem Mädchen am Nachbartisch, das meinen zufällig
in ihrem Dekolleté gelandeten Blick bemerkt
hat, und von der anderen jungen Frau am selben Tisch,
einer ausgesprochen hübschen Brünette,
die einmal ebenso zufällig zu mir herüber geschielt
hat. Tausend Schilling für ihre Gedanken! |
Montag, 4. Mai |
Italien: Auf Großvaters
Spuren am Isonzo |
Es
regnet nicht mehr. Der graue Himmel geht allmählich
in Weiß über und lässt eine schwache,
unangenehm blendende Sonne durchscheinen. Über die
Grenze bei Nova Gorica fahre ich, mit der Absicht,
ein Stück Familiengeschichte aufzuarbeiten,
nach Italien. Ich will Orte aufspüren, die von Großvater
in seinen Tagebüchern aus dem Ersten Weltkrieg erwähnt
wurden. |
"Als im April-Mai 1915
die Durchbruchsschlacht bei Gorlice war und die Russen
zurückgetrieben wurden, glaubte man schon, dass der
Krieg zu Ende sein wird. Arger Irrtum. Im Mai kam die
Kriegserklärung Italiens. Wir wurden sofort einwaggoniert
und über Südungarn ging es unter fortwährendem
Spielen des Radetzkymarsches bis gegen Görz. So kamen
wir am Abend nach Kostanjevica. Die
Nacht durften wir dort verbringen. Morgens sahen wir gleich
ein kleines Seegefecht und vor uns das sogenannte Plateau
von Doberdo, nichts als Steine. Wenige Truppen waren vor
uns, die Italiener beschossen schon fleißig die
einzige Ortschaft S. Martino. Bald sollten wir davon auch
zu kosten bekommen. Wir sollten durch diese Ortschaft
durchmarschieren und hinter dem Monte S. Michele Aufstellung
nehmen. Wie durch Zufall fiel in die Ortschaft kein einziger
Schuß als wir durchmarschierten. Wir fanden in einem
Wäldchen bei Cotici nicht nur Schutz vor der glühenden
Sonne sondern auch das wütende Feuer auf den Monte
S. Michele, welcher später der heißumstrittenste
Berg wurde, verschonte uns. Die Tagesdaten, Reihenfolge
und Einzelheiten der späteren Ereignisse sind mir
schon entschwunden. Wir kamen dann ein paar Tage in das
Wippachtal, wo man baden konnte (Wippach ist eiskalt),
am Abend schwirrten Tausende von Leuchtkäferchen,
wie ich es noch nie sah. Dann kamen wir wieder in Stellung
am Monte Sabotino nördlich Görz, nach 2 Tagen
wurde meine Kompanie wieder Reserve in San Mauro, was
mir angesichts des vom Hauswirt gebotenen guten Essens
und Weines nicht gar unangenehm war. Er wollte scheinbar
einen guten Patrioten spielen, dadurch wurde er später
als Spion aufgehängt. Eigentlich habe ich die Entdeckung
gemacht, daß am Turm und in den obersten Stockwerken
des Hauses immer Wäsche in den Fenstern hängt,
täglich mit anderer Zusammenstellung. Das waren verabredete
Zeichen und das Haus wurde auch beim Schießen stets
verschont. |
Nach einigen Tagen kamen wir nach St.Peter. Da konnte
ich die Ergiebigkeit des Görzer Beckens bewundern.
Wein, Kartoffeln, Kukuruz, Bohnen und Pfirsiche auf einem
Acker. Dann kamen wir nach Görz selbst. Da war ich
gut untergebracht. Daß fast täglich daneben
die italienischen Flieger ein paar Bomben abwarfen, durfte
die Gemütlichkeit nicht stören. |
Inzwischen tobte bei Oslavija-St.Florian-Podgora die 1.
Isonzoschlacht. Man trank dazwischen sein Bier im Südbahnhotel,
oder während des Mittagessens in einem weinbewachsenen
Hof schwirrten einzelne Geschoße daher, einmal kam
surrend wie ein Flieger ein Sprengstück einer Granate
daher (30 cm lang) und fiel klatschend an die Mauer. Es
waren also heitere Mahlzeiten. Nach dem Abflauen dieser
Schlacht gingen wir über San Grado di Merna wieder
auf das Plateau von Doberdo. In einer Doline lagen wir
als Reserve. Hinter uns war irgend ein Train, welcher
pfiffig die Wäsche zum Trocknen fein ausbreitete.
Das sahen zwei italienische Flieger. Ich hatte den Braten
schon gerochen und machte dem Bataillonskommandanten den
Vorschlag die Stellung zu wechseln. Er wollte nicht. So
ging ich mit meiner Kompanie allein weiter. seitwärts
in eine Doline. Bald folgten die anderen. Kaum waren wir
weg, kamen schon heulend ein paar schwere Brisanzgranaten,
und alle in die Doline, welche wir soeben verlassen hatten.
Aus uns wäre ein Brei geworden. Schmunzelnd gedachte
dessen der Bataillonskommandant. |
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Osterreichisch-ungarisches Sperrfeuer an der Isonzofront |
Nun kamen wir wieder nach Cotici als Reserve hinter dem
Monte San Michele. Jede Nacht mußten wir knapp hinter
dem Gipfel in Bereitschaft liegen. Glücklicherweise
machten während dieser 4 oder 5 Tage die Italiener
keinen namhaften Angriff. Einst zu Mittag kam der Auftrag,
die Kommandanten hätten eine Rekogniszierung vorzunehmen,
um bei einem italienischen Angriff die Vorrückungslinien
und das Gelände genau zu kennen. Es half nichts,
daß wir dem Bataillonskommandanten einredeten, das
könne natürlich nur abends oder zeitig in der
Früh geschehen, denn jetzt nachmittags ist ja da
oben die Hölle los. Er behauptete, es
müsse sofort geschehen. Also machten wir uns auf
den Weg. Bald waren wir auf einem
geneigten Rasenhang.
Geschosse
verschiedenen Kalibers flogen in Mengen herum. Plötzlich
sah ich aus einer Rauchwolke einen schwarzen Punkt auf
mich zufliegen.
Ich wußte, das ist der Zünder eines Schrapnells;
wenn der mich erwischt, bin ich zerfetzt. Soll man in
die Höhe springen, seitwärts weichen oder sich
bücken? Ich tat das letztere und instinktiv taten
alle hinter mir dasselbe. Kaum 2 Meter über uns sauste
das „Bröckerl“ über uns weg, so daß
wir den Wind spürten. So heiter ging es noch ein
Stückchen weiter, je höher wir kamen, desto
dichter war der Geschoßhagel, einzelne Kommandanten
waren schon verschwunden. Oblt. Müller und ich fanden
endlich den Bataillonskommandanten hinter einem Steinhaufen
leichenblaß. „Das ist eine Hölle“
meinte er. Halb trugen wir ihn bis zu unserem nahen Steinloch,
wo wir stets in der Nacht geborgen waren. Dort erholte
sich der Mann, dank ein paar Schlucke aus unseren Feldflaschen,
wo wir stets guten Wein führten. Dann führten
wir ihn gesichert wieder zurück. Wir galten schon
als verloren. Die Rekognoszierung wurde dann natürlich
zeitig früh gemacht. Noch ein paarmal waren wir bald
da, bald dort, je nachdem wo es brenzlig wurde, und Anfang
Juli hieß es, Ablösung und Abmarsch nach Dornberg.
Dort sollten wir einwaggoniert werden und an die Kärntner
Front abgeschoben werden. Das war uns jedenfalls lieber
als diese steinige Hölle." |
Wäre Großvater länger
in diesem italienischen „Verdun“ geblieben,
hätte er es vielleicht nicht überlebt. Es überfällt
mich ein recht seltsames Gefühl beim Gedanken,
dass in diesem Frontabschnitt allein die Italiener mehr
als 100.000 Tote hatten. Ohne diesen Abmarsch nach Dornberg gäbe es mich vielleicht gar nicht. |
Ich bin am Fuße des Monte San Michele angelangt,
im kleinen Dorf San Martino del Carso, das damals
unmittelbar an der Front lag und völlig zerstört
wurde. Ich suche nach Spuren. An dieser Erhebung, die
dank ihrer strategischen Lage einen weiten Rundblick von
den Ketten der Julischen Alpen bis zur Isonzo-Ebene
gewährt, begannen die Linien der Schützengräben,
die am Karst entlang führten. |
Die Gegend wirkt ganz und gar nicht bäuerlich. Heute
sind die meisten Häuser, die zu sehen sind, kleinbürgerliche
Villen und Wochenendhäuser. Der Ortscharakter,
wie er vielleicht einmal war, ist nur in Spuren erhalten
geblieben. Nur die Kirche sieht alt und erinnerungsverdächtig
aus.
Ein Mann im Unterhemd streicht gerade eine Wand seines
Hauses, sein Hund knurrt. Sonst ist alles ruhig, die Luft
undurchsichtig, heiß und sommerlich. |
Ich folge einem kleinen Weg den Berg hinauf, einem Schild
des Club Alpino nach. Nach einigen Minuten komme ich zu
einem winzigen Friedhof. Da haben wir's, denke ich, ein
erstes Zeichen. Aber es ist ein Irrtum: Die meisten Gräber
auf dem taschentuchgroßen Friedhof führen den
(typisch venetischen) Namen Visintin. |
Nein, das kann nicht der Kriegsfriedhof sein, den ich
suche. |
Ich folge dem Weg weiter nach oben, suche die „steinige
Hölle", von der Großvater schrieb,
finde aber nur eine Macchialandschaft, die mich wegen
ihrer Kargheit in Gedanken in den Süden Italiens versetzt, nach Sizilien oder auf die wilden Berge der
Abruzzen, jedenfalls weit, weit weg. Nur die Reste einzelner
Steinmäuerchen lassen Rückschlüsse darauf ziehen,
wie es hier einmal ausgesehen hat. |
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Jetzt ist der Bergrücken stellenweise mit kniehohem Gras
bewachsen, anderswo sind es dichte Büsche
oder Dornengewächse, die meine Beine zerkratzen.
Weiter oben finden sich nur kleine, fast undurchdringliche
Wäldchen. Es riecht nach Staub, nach Lorbeer,
nach säuerlichen, fauligen Pflanzen,
es erinnert mich stark an die Villa Gentile, den
Garten meiner Kinderzeit. Es ist erstaunlich welche Wirkung
Gerüche haben können, die ich seit langem nicht
mehr gespürt habe. Sie lassen mich binnen eines Augenblicks
Jahrzehnte überspringen und bringen mit erstaunlicher
Detailgenauigkeit entfernteste Momente meines Lebens zurück. |
Ich muss an dieser Stätte des „Großen
Krieges“ auch an die unangenehme Rolle denken, die
für mich als in Italien aufgewachsener Österreicher die „Erbfeindschaft“ zwischen Österreichern und Italienern in der Schule spielte, wo im Geschichtsunterricht
mit „patriotischer“ Inbrunst nur die Heldentaten
der Italiener zelebriert wurden. Als Kind machte mir diese
Art Ausgrenzung schwer zu schaffen. Auch die Erinnerung
daran taucht jetzt mit großer Klarheit wieder auf. |
Während ich im dichten Unterholz eines der Wäldchen
stecken bleibe und nicht weiter vorwärtskomme, kann
ich – nicht gerade mit Begeisterung – auf dem Berggipfel
oberhalb des Waldes das Gerüst einer Mobiltelefon-Antenne
erkennen. Völlig losgelöst von den Geschichtsereignissen
genieße ich eine Zeit lang die Einsamkeit,
die Natur und die sommerliche Atmosphäre und spiele
ein wenig Pfadfinder. Ich bin fasziniert und zugleich
ein bisschen enttäuscht. Es fällt mir schwer,
in dieser Waldidylle den steinigen Ort des Todes Tausender
von Menschen zu sehen. Irgendwann – ist es eine halbe
oder eine ganze Stunde später? Die Zeit scheint stehen
geblieben zu sein – kann ich nicht mehr weiter. Zu häufig
bleibe ich mit den Hosen an irgendwelchen Dornen hängen,
ohne wirklich voranzukommen. Also kehre ich zum Auto
zurück. Und mit diesem Fortbewegungsmittel der Moderne
bin ich sehr schnell am Ziel: Am Ende der Teerstraße,
die genau bis zum Gipfel führt, finde ich endlich
die Spuren der Geschichte. |
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