Was verbindet
mich mit diesem begnadeten Schriftsteller?
Die gefühlte Lebensspanne eines Menschen reicht
viel weiter in die Vergangenheit, als es sein Geburtsdatum
erahnen ließe. Alles, was man über die eigene Familiengeschichte
erlebt, gehört und gesehen hat, gehört dazu.
Die Umbruchszeit des Ersten Weltkriegs, so wie es Roth
in vielen seiner Romane schilderte, spiegelt sich in den
Erfahrungen wider, die mein eigener Großvater, Major in
der k. und k. -Armee, in seinen Kriegsberichten beschrieb.
Durch seine Berichte hat die Geschichte das alten Österreichs
einen Fuß in die Türspalte meines Lebens gesetzt.
„Als ich dreißig Jahre alt
war, durfte ich endlich die weißen Städte sehen,
die ich als Knabe geträumt hatte. Meine Kindheit verlief
grau in grauen Städten. Meine Jugend war ein grauer und
roter Militärdienst, eine Kaserne, ein Schützengraben,
ein Lazarett. Ich machte Reisen in fremde Länder - aber
es waren feindliche Länder. Nie hätte ich früher
gedacht, daß ich so rapid, so unbarmherzig,
so gewaltsam einen Teil der Welt durchreisen würde, mit
dem Ziel zu schießen, nicht mit dem Wunsch zu sehen. Ehe
ich zu leben angefangen hatte, stand mir die ganze Welt offen.
Aber als ich zu leben anfing, war die offene Welt verwüstet.
Ich selbst vernichtete sie mit Altersgenossen. Die Kinder der
anderen, der früheren und der späteren Generationen,
dürften einen ständigen Zusammenhang zwischen
Kindheit, Mannestum und Greisenalter finden. Auch sie erleben
Überraschungen.
Aber keine, die nicht irgendeine Beziehung
zu ihren Erwartungen zu bringen wäre. Keine, die man ihnen
nicht hätte prophezeien können. Nur wir,
nur unsere Generation, erlebte das Erdbeben, nachdem sie
mit der vollständigen Sicherheit der Erde seit der Geburt
gerechnet hatte. Uns allen war es, wie einem, der
sich in den Zug setzt, den Fahrplan in der Hand, um in die Welt
zu reisen. Aber ein Sturm blies unser Gefährt in die Weite,
und wir waren in einem Augenblick dort, wohin wir in gemächlichen
und bunten, erschütternden und zauberhaften zehn Jahren
hatten kommen wollen. Ehe wir noch erleben konnten, erfuhren
wir's.
Wir waren fürs Leben gerüstet, und schon begrüßte
uns der Tod. Noch standen wir verwundert vor einem Leichenzug,
und schon lagen wir in einem Massengrab. Wie wußten mehr
als die Greise, wir waren die unglücklichen Enkeln, die
ihre Großväter auf den Schoß nahmen, um ihnen
Geschichten zu erzählen.„ (aus „Hotel Savoy“)
Joseph Roth wurde am 2. September
1894 in Brody, Galizien (heute Ukraine), als Sohn jüdischer
Eltern geboren.
Brody war eine mittelgroße
Stadt nahe der Grenze zwischen Österreich-Ungarn
und Russland. Galizien,
zuvor polnisches Gebiet, bildete von 1772 bis 1918 als Königreich
Galizien und Lodomerien ein Kronland der Habsburgermonarchie.
Sowohl in Galizien als auch im russischen Wohlhynien
war neben der polnischen, russischen, ruthenischen und
deutschen Bevölkerung der Anteil der Juden sehr groß.
Brody war zum Ende des 19. Jahrhunderts eine der wenigen
Städte Galiziens, deren Bevölkerung mehrheitlich aus
Juden bestand.
1894 kehrte Josephs Vater noch vor der Geburt seines Sohnes nicht von einer Geschäftsreise
zurück, so wuchs der kleine Roth bei seiner Mutter und
seinem Großvater auf.
1901-1913:
Roth besuchte die jüdische Gemeindeschule in Brody und
danach das Kronprinz-Rudolph-Gymnasium, wo er seine
Matura (sein Abitur) mit Auszeichnung bestand. In diesen
Jahren verfasste Roth seine ersten Gedichte. Nach der Matura
immatrikulierte er sich an der Universität Lemberg
für die Fächer Germanistik und Philosophie. 1914
wechselte er zur Universität Wien.
Radetzkymarsch - Trailer
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Roth zunächst als wehrdienstuntauglich
vom Militärdienst befreit. 1916 meldete er sich
aber freiwillig zum Militärdienst und diente in Galizien bei einer Infanterietruppendivision sowie in Wien bei einer
militärischen Pressestelle. Von 1917 an bis zu
Kriegsende war er dem Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Das Ende des Krieges erlebte er in russischer
Gefangenschaft.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Roth zunächst als wehrdienstuntauglich
vom Militärdienst befreit. 1916 meldete er sich
aber freiwillig zum Militärdienst und diente in Galizien bei einer Infanterietruppendivision sowie in Wien bei einer
militärischen Pressestelle. Von 1917 an bis zu
Kriegsende war er dem Pressedienst im Raum Lemberg zugeteilt. Das Ende des Krieges erlebte er in russischer
Gefangenschaft.
1918
- 1919: Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft kehrte
Roth nach Wien zurück, wo er sein erstes Feuillton in der
linksliberalen Zeitung "Der neue Tag" veröffentlichte.
Für diese schrieb er innerhalb eines Jahres mehr als 100
Artikel in einem von Witz und sprachliche Klarheit gekennzeichnetem
Stil.
Ende April 1920 stellte der „Neue Tag„ sein Erscheinen ein. Roth zog nach Berlin um, in eine Stadt, die während
der Weimarer Republik eine kulturelle Blühte erlebte. 1922 heiratete er Friederike (Friedl) Reichler, eine attraktive,
intelligente Frau, die aber weder eine Intellektuelle war noch
dem ruhelosen, mondänen Leben an der Seite eines reisenden
Starjournalisten etwas abgewinnen konnte.
Im gleichen Jahr
begann Roth Beiträge für das sozialistische Blatt Vorwärts zu schreiben, obwohl er sicherlich kein
Sozialist war, dessen Überzeugungen auf theoretischen Fundamenten
ruhten. Ab Jänner 1923 arbeitete er als Feuilletonkorrespondent für
die renommierte Frankfurter Zeitung, in der
in den folgenden Jahren ein großer Teil seiner
journalistischen Arbeiten erscheinen sollte. Aufgrund der durch
die Inflation in Deutschland und Österreich abwechselnd
relativ schlechteren wirtschaftlichen Lage pendelte Roth
in dieser Zeit mehrfach zwischen Wien und Berlin. In diesem
Jahr begann er auch seine Mitarbeit mit dem "Prager
Tageblatt".
1924 erschien Joseph Roths erster Roman, „Hotel
Savoy“, der den gesellschaftlichen Umbruch
der Nachkriegszeit zum Thema hat. In den folgenden Jahren wurde
er Auslandskorrespondent der "Frankfurter
Zeitung„ in Paris und, als er die Stelle aufgeben musste reiste er für sie
selbe Zeitung in die Sowietunion,
nach Italien, Albanien und Polen.
1926 hatten sich bei Roths Frau erste Symptome einer geistigen Erkrankung gezeigt, 1928
wurde die Krankheit manifest und Friedl wurde vorübergehend
in eine Nervenheilanstalt behandelt. Als auch die Unterbringung
bei ihren Eltern keine Besserung brachte, kam sie 1930
- 1933 in verschieden Anstalten. Roth beantragte die
Scheidung. 1940 wurde Friedl in eine Heilanstalt
nach Linz geschickt, über eine Ankunft dort gibt
es keinen Beleg – sie wurde ein Opfer des nationalsozialistischen
Euthanasieprogramms. Sie starb am 15. Juli 1940.
Die Krankheit seiner Frau
stürzte Roth in eine tiefe Krise. In dieser Zeit
begann er kräftig zu trinken und seine finanzielle Situation
verschlechterte sich.
Das Spinnennetz
Das Spinnennetz ist ein abgebrochener Fortsetzungsroman von Joseph Roth, der 1923 in der Wiener Arbeiter-Zeitung vorabgedruckt wurde. Der Druck folgte posthum 1967 in Köln und Berlin. Das Werk wurde 1989 verfilmt.
1929 - 1930 arbeitete
Roth für die konservative Zeitung „Münchener Neueste
Nachrichten“ und veröffentlichte sein Roman „Rechts
und Links“. Roth wendete sich mehr und mehr dem Gedankengut
der konservativen habsburgischen Legitimisten zu. Er idealisierte
die Monarchie in seinen Romanen als eine aus der Zeit gehobene
Phase der Sicherheit und Ordnung.
1930 erschien
sein erfolgreichstes Buch „Hiob“, das vom
Juden Mendel Singer handelt, der auf der Suche nach Gott ist.
Hiob
„Und sie gelangten in eine Welt, wo der weiche Sand gelb war, das weite Meer blau und alle Häuser weiß. Auf der Terrasse vor einem dieser Häuser, an einem kleinen, weißen Tischchen, saß Mendel Singer. Er schlürfte einen goldbraunen Tee. Auf seinen gebeugten Rücken schien die erste warme Sonne dieses Jahres. Die Amseln hüpften dicht an ihn heran. Ihre Schwestern flöteten indessen vor der Terrasse. Die Wellen des Meeres plätscherten mit sanftem, regelmäßigem Schlag an den Strand. Am blaßblauen Himmel standen ein paar weiße Wölkchen.“ (aus
„Hiob“)
1932 erschien Roths Meisterwerk „Radetzkymarsch“,
in der er anhand einer Familiengeschichte den Untergang des
habsburgischen Reichs schildert.
Radetzkymarsch
In der Schlacht von Solferino rettet Leutnant Joseph Trotta unter Einsatz seines Lebens dem jungen Kaiser Franz Joseph I. das Leben. Dafür wird er in den Adelsstand erhoben. Seinem Sohn, Franz Freiherrn von Trotta, verbietet er eine Karriere beim Militär. Dieser schlägt also eine zivile Beamtenlaufbahn ein. Bei Carl Joseph Trotta, seinem Sohn ist von der Stärke des „Helden von Solferino“ nichts übrig geblieben. Er will eigentlich kein Soldat sein und folgt nur dem Auftrag seiner Familie. Das Schicksal verschlägt ihn im Ersten Weltkrieg zur Infanterie an die russische Grenze, wo er der Spielsucht und dem Alkohol verfällt. Wie am Anfang des Aufstiegs der Familie der Einsatz eines Menschenlebens für den Kaiser gestanden hat, geschieht am Ende ein Opfergang für die Kameraden: Carl Joseph fällt bei dem Versuch, Wasser für seine Soldaten zu holen.
1933, nach der Machtübernahme
Hitlers, emigrierte Roth nach Paris, von wo aus er sich publizistisch
für die Restauration des untergegangenen habsburgischen
Vielvölkerstaats einsetzt, in dem er die einzige Möglichkeit
sieht, die Unabhängigkeit Österreichs zu bewahren.
1935 wendete er sich dem Katholizismus zu, der zeitlebens eine
große Anziehungskraft auf ihn ausgeübt hatte.
1938 reiste er - kurz vor
dem AnschlussÖsterreichs - zum letzten Mal
nach Wien im Auftrag der österreichischen Legitimisten.
Im selben Jahr veröffentlichte er den Roman
„Kapuzinergruft“, eine Fortsetzung des Romans „Radetzkymarsch“".
1939 erschien seine Erzählung
„Die Legende vom heiligen Trinker“ und die Artikelserie
„Schwarz-Gelbes Tagebuch“. Am 23. Mai brach er zusammen,
als er die Nachricht vom Selbstmord seines Freundes Ernst Toller erhielt. Drei Tage später starb Joseph Roth, von lebenslangem
starkem Alkoholkonsum gezeichnet und von den zahlreichen Schicksalsschläge
gebrochen im Hôpital Necker, einem Pariser Armenhospital.
1939 erschien postum Joseph Roths Roman „Die Geschichte von der 1002. Nacht“. Während eines Besuchs in Wien verliebt sich der Schah von Persien in die Gräfin W. aus Mähren. Es verlangt ihn nach einer gemeinsamen Nacht. Er verbringt sie mit der als Gräfin verkleideten Mizzi Schinagl.
Der Titel des Romans suggeriert Orientalisches. Die Leser erwarten so etwas wie Tausendundeine Nacht. Der Schah tritt aber im Roman nur kurz in Erscheinung und liefert die Basis für die Lebensgeschichte von Mizzi sowie für jene des Rittmeisters Alois Franz Baron von Taittinger, der während des Staatsbesuchs des Schahs diesem die vermeiontliche Gräfin für eine Liebesnacht zuführte.
„Sie gehörte zu jenen Mädchen, die in den längstvergangenen Tagen ohne jedes andere Verdienst als das der Anmut Verehrung genossen und Anbetung erwarben.“
„Er tanzte nicht gern. Er spielte nicht gern. Er trank nicht einmal gern. Eifersucht war seine einzige Leidenschaft.“
„Durch ihre einfache Seele huschte für ein paar Minuten ein hurtiger Abglanz jenes Lichts, das die Klügeren und Einsichtigen so selig und so traurig macht: das Licht der Erkenntnis.“
„Der Baron Taittinger gehörte zu den nicht seltenen Menschen, die, in der Disziplin des Militärs herangewachsen, vom Schicksal genauso Befehle und Anweisungen erwarteten wie von vorgesetzten Stellen.“
„Es war nicht einfach das Wiener Dialekt. Es war, wie wenn ein Bär den Versuch gemacht hätte, italienisch zu sprechen.“
Klassiker der Weltliteratur - Joseph Roth
Ende 1926 hatte Joseph Roth für die Frankfurter Zeitung vier Monate lang Russland bereist. Diese Russland-Reportagen wurden 2015 unter dem Namen „Reisen in die Ukraine und nach Russland“ im C.H. Beck Verlag wieder aufgelegt. Diese Reportagen (Lemberg, Kiew, Odessa, Moskau) liest man gerade heute wieder mit großem Interesse.
„Es gibt Städte, in denen es nach Sauerkraut riecht. Dagegen hilft kein Barock.“
„Die großen, alten Kirchen treten aus der Reserve ihres heiligen Zwecks und mischen sich unter das Volk.“
„Die Städte an der Wolga sind die traurigsten, die ich je gesehen habe. Sie erinnern an die zerstörten Städte des französischen Kriegsgebiets. Diese Häuser brannten im roten Bürgerkrieg; und dann sahen ihre Trümmer den weißen Hunger durch die Straßen galoppieren.“
„Ohne diese Konditorei hätte ich nicht arbeiten können, das wichtigste Schreibmaterial ist Kaffee.“