Es war Anfang der
1990er Jahre, als ich im Böhmerwald zum ersten Mal vor
der berühmten Teufelswand (Tschechisch: „Čertova stěna")
stand. Ich sah Abertausende von Steinriesen, ineinander
verklemmte und verhakte Felsen, in einer tief im Wald eingeschnittenen
Klamm. Ehrfurcht ergriff mich und ich empfand eine Entfernung
zu den Dingen, die fast überirdisch war. Es waren die Worte
von Adalbert Stifter, die mich dorthin geführt hatten:
„ . . . ganz ernster und schöner wird diese Erscheinung
erst weiter unten von Kienberg, wo eine Gesellschaft von Felsen
steht, die Bäume immer weniger und kleiner werden, der
Stein sich mehrt und endlich allein in größter Fülle
die Herrschaft führt. Zerschlagene, zertrümmerte Steine
liegen umher, ein mächtiger Felsbau erhebt sich und trägt
die graue Brust aus dem ringsum liegenden Reiche der Zerstörung
empor . . . “
Die Teufelswand
Adalbert Stifter (geb.
am 23. Oktober 1805 in Oberplan, Böhmen, gestorben am 28.
Jänner 1868 in Linz) war ein bedeutender österreichischer
Schriftsteller, Maler und Pädagoge.
Adalbert-Stifter-Denkmal in Oberplan (Horni Plana)
Geboren in einer armen
Leinweberfamilie im Böhmerwald, war er noch keine zwölf Jahre alt, als sein Vater tödlich verunglückte, und keine vierzehn, als er
an das Gymnasium des Benediktinerstiftes in Kremsmünster kam.
Adalbert Stifter 1820
Im Jahr 1826 zog er nach Wien, wo er Jura studierte, aber auch
Vorlesungen über Mathematik, Naturwissenschaften und Kunstgeschichte besuchte. Seine ersten acht Gedichte veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ostade.
Noch zu Lebzeiten wurde Stifter als Dichter bekannt.
Dass er bildungspolitische Leistungen erbrachte, ist weniger bekannt.
Er hatte erkannt, dass man die sozialen Verhätnisse nur dann verbessern konnte, wenn der Bildungsstand des
Volkes entsprechend steige. 1850 schlug er die Beamtenlaufbahn
ein und wurde Inspektor der oberösterreichischen Volksschulen
und 1855 Schulrat.
Adalbert Stifter fühlte sich lange Zeit eher als Zeichner und Maler. Im Volkskalender (1874) von Peter Rosegger erscheint Stifter als ein "mit dem Pinsel" erzählender Maler. Stifter arbeitete jahrzehntelang als Maler und war damit auch sehr erfolgreich.
Für einen detaillierteren
Lebenslauf siehe [] und [].
Alles erinnert an Adalbert Stifter im Böhmerwald. Unterwegs
vom St.-Thoma-Kirchlein zur Ruine Wittinghausen, Schauplatz
von Stifters Erzählungen "Der Hochwald" und
"Witiko" fielen mir Stifters Worte ein: „ ...Der Punkt, von dem aus man den Lauf dieser Waldestochter (Moldau)
übersehen kann, ist eine verfallene Ritterburg, von dem
Thale aus wie ein luftblauer Würfel anzusehen, der
am obersten Rande eines breiten Waldbandes schwebt ... “.
Der Hochwald
„Der Hochwald“ spielt vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges, als die schwedischen Truppen nach Böhmen drängten. Die Erzählung handelt vom Edelmann Heinrich von Wittinghausen und seinen zwei Töchtern, die er vor den Schweden schützen will und deshalb aus der Burg entfernt und in einer Hütte im Walde versteckt. Die Burg wird schließlich von den Schweden verwüstet und in Brand gesteckt.
„Mit diesem Worte schaute er in das Rohr, aber ob auch sein Auge durch übung vielmal schärfer war als das der Mädchen, so sah er doch auch nichts anders als sie: in schöner Klarheit einen gewaltigen Turm von dem Waldrande emporstehen ohne Dach und mit den schwarzen Brandflecken, nur schien es ihm, als schwebe noch eine ganz schwache blaue Dunstschichte über der Ruine.“
Thomas Mann schrieb über
Stifter: „Stifter ist einer der merkwürdigsten,
hintergründigsten, heimlich kühnsten und
wunderlich packendsten Erzähler der Weltliteratur. Hinter
der stillen, innigen Genauigkeit seiner Naturbetrachtung ist
eine Neigung zum Exzessiven, Elementar-Katastrophalen wirksam“.
Nicht wenige Kritiker warfen Stifter vor, dass seine Figuren gar keine wirklichen Figuren seien, und dass sich sein Werk in der Darstellung von Natur und Landschaft erschöpfe. Sein Stil sei darüber hinaus überfrachtet mit allzu langatmigen Sätzen. Bereits Friedrich Hebbel beschwerte sich über Stifters Roman Nachsommer: „Was wird hier nicht alles betrachtet und geschildert, es fehlt nur noch die Betrachtung der Wörter, womit man schildert, und die Schilderung der Hand, womit man diese Betrachtung niederschreibt“.
Adalbert Stifters Wald
Ich bin kein Literaturkritiker,
um solche Argumente mit eigenen Worten zu ergänzen. Die Langatmigkeit
Stifters hat es auch mir manchmal schwer gemacht, wenn Personen,
Landschaften und Handlungen – sofern äußerliche
Handlungen überhaupt vorkommen – aufs Allergenauste beschrieben
werden, wenn mir beim Lesen fast meditative Konzentration
und innere Ruhe abverlangt werden.
Adalbert Stifters Moldau
Wenn es überhaupt möglich
ist, Natur und Menschen mit einer verständlichen, greifbaren
Leidenschaft in Sprache einzufangen,
so ist dies Stifter gelungen. Mit unglaublicher Liebe zu den
kleinsten Details, die doch nie aus dem großen
Gesamtbild herausgerissen sind, zeichnet er ein von Anmut durchwirktes
Bild der Natur und der darin lebenden Menschen.
„Ein schöner schwarzer Zaubersee soll in ihrer Mitte ruhen, und wunderbare Felsen und wunderbare Bäume um ihn stehen, und ein Hochwald ringsherum sein, in dem seit der Schöpfung noch keine Axt erklungen.“
Der Plöckensteiner See
Man kann dem Zauber von Stifters Sprache leicht erliegen. Es gibt eine Passage in "Abdias", die mich fasziniert. Sie drückt in wenigen Worten die Gleichgültigkeit der Natur gegenüber menschlicher Tragödien aus:
„ ... Dort, zum
Beispiele, wallt ein Strom in schönem Silberspiegel, es
fällt ein Knabe hinein, das Wasser kräuselt sich lieblich
um seine Locken, er versinkt - und wieder nach einem Weilchen
wallt der Silberspiegel, wie vorher ...“
Die Antwort auf die Frage, weshalb Stifter so lesenswert ist,
findet man besonders in kleinen Erzählungen wie „Bergkristall“,
einer Erzählung aus der Sammlung „Bunte Steine“.
Auszüge aus "Bergkristall"
„... und die Schneeflocken
fielen stets reichlicher, so daß der ganze Boden schon
weiß war, daß der Wald sich grau zu bestäuben
anfing, und daß auf dem Hute und den Kleidern des Knaben
sowie auf denen des Mädchens der Schnee lag ...“
Bergkristall und andere Erzählungen.
„... Es war große
Ruhe eingetreten. Von den Vögeln, deren doch manche auch
zuweilen im Winter in dem Walde hin und her fliegen, und von
denen die Kinder im Herübergehen sogar mehrere zwitschern
gehört hatten, gar nichts zu vernehmen, sie sahen auch
keine auf irgendeinem Zweige sitzen oder fliegen, und der ganze
Wald war gleichsam ausgestorben ...“
„... Ihre Freude
wuchs noch immer; denn die Flocken fielen stets dichter, und
nach kurzer Zeit brauchten sie nicht mehr den Schnee aufzusuchen,
um in ihm zu waten; denn er lag schon so dicht, daß sie
ihn überall weich unter den Sohlen empfanden, und daß
er sich bereits um ihre Schuhe zu legen begann; und wenn es
so ruhig und heimlich war, so war es, als ob sie das Knistern
des in die Nadeln herabfallenden Schnees vernehmen könnten
... “
„...Sie merkten
auch, daß ihr Fuß, wo er tiefer durch den jungen
Schnee einsank, nicht erdigen Boden unter sich empfand, sondern
etwas anderes, das wie älterer, gefrorner Schnee war; aber
sie gingen immer fort, und sie liefen mit Hast und Ausdauer.
Wenn sie stehen blieben, war alles still, unermeßlich
still; wenn sie gingen, hörten sie das Rascheln ihrer Füße,
sonst nichts; denn die Hüllen des Himmels sanken ohne Laut
hernieder und so reich, daß man den Schnee hätte
wachsen sehen können. Sie selber waren so bedeckt, daß
sie sich von dem allgemeinen Weiß nicht hervorhoben und
sich, wenn sie um ein paar Schritte getrennt worden wären,
nicht mehr gesehen hätten ...“
„... Die Nacht brach mit der in großen Höhen gewöhnlichen Schnelligkeit herein. Bald war es ringsherum finster, nur der Schnee fuhr fort, mit seinem. bleichen Lichte zu leuchten. Der Schneefall hatte nicht nur aufgehört, sondern der Schleier an dem Himmel fing auch an, sich zu verdünnen und zu verteilen; denn die Kinder sahen ein Sternlein blitzen. Weil der Schnee wirklich gleichsam ein Licht von sich gab, und weil von den Wolken kein Schleier mehr herabhing, so konnten die Kinder von ihrer Höhle aus die Schneehügel sehen, wie sie sich in Linien von dem dunkeln Himmel abschnitten. Weil es in der Höhle viel wärmer war, als es an jedem andern Platze im ganzen Tage gewesen war, so ruhten die Kinder enge aneinander sitzend und vergaßen sogar die Finsternis zu fürchten. Bald vermehrten sich auch die Sterne, jetzt kam hier einer zum Vorscheine, jetzt dort, bis es schien, als wäre am ganzen Himmel keine Wolke mehr ...“
Die Sonnenfinsternis von 1842
„ ...Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die oben stehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, dass es rings auseinander spritzte – das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah! Draußen weit über das Marchfeld hin lag schief eine lange, spitze Lichtpyramide grässlich gelb, in Schwefelfarbe flammend und unnatürlich blau gesäumt; es war die jenseits des Schattens beleuchtete Atmosphäre, aber nie schien ein Licht so wenig irdisch und so furchtbar, und von ihm floss das aus, mittels dessen wir sahen.
Hatte uns die frühere Eintönigkeit verödet, so waren wir jetzt erdrückt von Kraft und Glanz und Massen – unsere eigenen Gestalten hafteten darinnen wie schwarze, hohle Gespenster, die keine Tiefe haben; das Phantom der Stephans-Kirche hing in der Luft, die andere Stadt war ein Schatten, alles Rasseln hatte aufgehört, über die Brücke war keine Bewegung mehr; denn jeder Wagen und Reiter stand, und jedes Auge schaute zum Himmel. Gerade da die Menschen anfingen, ihren Empfindungen Worte zu geben, gerade in diesem Momente hörte es auf: Mit eins war die Jenseitswelt verschwunden und die hiesige wieder da, ein einziger Lichttropfen quoll am oberen Rande wie ein weiß schmelzendes Metall hervor, und wir hatten unsere Welt wieder“
Stifter - eine Lebensskizze (1/2)
Stifter - eine Lebensskizze (2/2)
Der Adalbert Stifter Verein, der vom Beauftragten der deutschen Bundesregierung für Kultur und Medien institutionell gefördert wird, engagiert sich für die Erforschung der deutsch-böhmischen Kulturgeschichte und den deutsch-tschechischen Kulturaustausch.