Literatur/ Medien

Die Wand



Lange Zeit dachte man, dass "Die Wand", der berühmteste Roman der ös­ter­rei­chischen Au­torin Marlen Haushofer, nicht zu verfilmen sei. Doch der ebenfalls öster­rei­chi­sche Regisseur Julian Pölsler hat sich für seine erste große Kinoarbeit dieses Stoffs angenommen und ihn meisterhaft um­ge­setzt.

Der Film
Der Film hat fast den Charakter eines bebil­der­ten Hörbuchs, denn er wird von der wunder­ba­ren warmen und etwas rauen Stimme von Marina Gedeck, der Haupt­dar­stel­le­rin, "erzählt". Da­durch ist der Film der Roman­vor­lage sehr treu blei­ben, während die Mö­glichkeiten des Film­me­diums, die Bilder, auf meis­ter­hafte Art genutzt werden. Mit elegischen Bildern einer ur­wüchsigen Bergwelt als Rahmen konzentriert sich die Ge­schichte auf das innere Erleben der Pro­ta­gonistin.
Die Erzählerin, eine Frau in den Vierzigern, wird an einem Frühlings­wo­chen­ende in das Jagdhaus eines befreundeten Ehepaars eingeladen. Nach der An­kunft verabschiedet sich das Paar zu einem kurzen Abendspaziergang ins Dorf und lässt die Protagonistin allein. Als das Ehepaar auch am nächsten Mor­gen nicht zurück ist, geht die Er­zählerin ungeduldig los, um im Dorf nach­zu­se­hen, was geschehen ist.

Aber plötzlich, mitten auf dem Weg, stößt sie an eine un­sichtbare Wand. Mitten in die Landschaft hat sich über Nacht eine Wand ge­stellt, eine un­durch­dring­liche Wand, die das einsame Jagd­haus und eine wei­te­re Um­gebung von der Außenwelt abschirmt. Was ist ge­sche­hen? Sie kann nur mutmaßen. Es wird im Film auch nicht näher darauf eingegangen. Mutter­see­len­allein, nur mit dem Jagdhund ihrer Freunde als Ge­fährte, ein­ge­sperrt in der einsamen Natur und abgeschirmt von der Welt, muss sich die Frau nach dem ers­ten Entsetzen der Situation irgendwie stellen.

Anfangs prüft sie noch ein paar Mal, ob die un­sichtbare Wand noch da ist, und versucht noch, durch diese Absperrung zu kommen. Es vergehen Tage, Wo­chen, Jahreszeiten. Schließlich findet sie sich mit dem Zustand kompletter Iso­lation ab und fängt an, sich fürs Überleben zu or­ga­ni­sieren. So geht sie wider­wil­lig auf die Jagd, um Fleisch für sich und den Hund zu besorgen, macht Heu für die zugelaufene Kuh und legt mit den ein­ge­la­ger­ten Kartoffeln einen Acker an. Im Herbst pflückt sie Äpfel und Zwetschgen. Der Hund, eine Katze, die Kuh und ein weißer Rabe sind ihre einzigen Bezugslebewesen.
"Die Wand" (Trailer)
Das Überraschende an diesem Film ist, das es keine Überraschungen gibt, keine plötzliche
Martina Gedeck
Foto von Manfred Werner (Lizenz)
Wand­lung, kei­ne wirk­li­che Er­lö­sung, kein al­les auf­klä­ren­des Ereig­nis, das die Fra­gen be­ant­wor­tet, die man sich von An­fang an stellt. Al­le Fra­gen blei­ben of­fen, an­ge­fan­gen mit dem Ur­sprung die­ser ge­heim­nis­vol­len Wand. Man muss selbst ver­su­chen, die Ant­wort­en zu fin­den, auch wenn die­se viel­leicht nur für ei­nen selbst gel­ten. Die Über­ra­schung fin­det man in sich sel­ber, Schritt für Schritt, in der in­ne­ren Wand­lung der ei­ge­nen Ge­dan­ken, die von an­fäng­li­cher Be­klem­mung sich auf kaum wahrnehm­bare Art ändern. Kon­frontiert mit einem Abgrund von Ein­sam­keit und Hilfs­lo­sig­keit muss die Prota­go­nistin ihrer Situation langsam ge­wachsen werden. Als Zu­schau­er kann man diesem Albdruck manchmal entkommen, wenn man die wilde Schönheit der Bergwelt quasi sehnsuchtsvoll in sich aufnimmt und ver­gisst, dass dieses Pa­ra­dies für die Pro­ta­gonistin auch eine Hölle ist.
Ein Wendepunkt kommt, als die Frau langsam in der Liebe zur Natur und zu den Kre­atu­ren, die das Schicksal ihrer Verantwortung über­ge­ben hat, auf­geht. Das drückt sie sehr poetisch aus mit den Worten: "Zum ersten Mal in mei­nem Leben war ich besänftigt. Es war, als hätte eine große Hand die Uhr in meinem Kopf still­stehen lassen." Es ist eine Art innerer Freiheit, die sie ge­winnt, trotz ihrer Ge­fangenschaft. Der Film stellt, wie Haus­ho­fers Roman, existen­ziel­le Fragen ohne sie zu beantworten. Er lässt In­ter­pre­ta­tions­mög­lich­keiten offen.

Die Landschaft
Die Natur und die Landschaft spielen in diesem Film – was im Buch kaum mö­glich gewesen wäre – eine Hauptrolle. Eine Landschaft, die so schön ist, dass sie den Verdacht aufkommen lässt, der Regisseur habe mit dem Klischee von Heimat und Heimatfilm spielen wollen.
Der Gosausee
Marlen Haushofers Roman "Die Wand“ beinhaltet eine sehr genaue Be­schrei­bung der Orte (Jagd­hütte in Waldnähe, Alm, ...), für die ein bestens ent­spre­chen­der Drehort gefun­den wer­den musste. Eine Heraus­for­de­rung für die Ös­ter­reichischen Bundesforste (ÖBf)! An diesem Ort sollte das Filmteam auch zu allen Jahreszeiten ideale Drehbedingungen vorfinden. Fast zwei Jahre lang hielten die Revier­lei­ter der Bun­des­fors­te nach dem passenden Drehort Aus­schau. Endlich wurde man in Oberösterreich, zu­sam­men mit dem Regisseur und der Film­pro­duk­tions­fir­ma coop99 in der Nähe des Gosausees fün­dig. Martina Gedeck sagte zu diesem Ort: „Die Umge­bung ist wunderbar, weil sie eine Magie hat, die ich mir selber gar nicht vorstellen konnte, dieses Un­be­rührte und permanent sich Verändernde.
Der Regisseur
Julian Roman Pölsler (1954) ist ein ös­ter­rei­chi­scher Autor und Regisseur. Er begann als Regieassistent bei Axel Corti. Seit 1982 widmete er sich den Fern­sehfil­men und Fern­seh­pro­duk­tio­nen. 2006 war er zum ersten Mal als Opern­re­gisseur (Hoffmanns Erzählungen) in der Oper Klosterneuburg sehr erfolgreich.

Die Schauspielerin
Pressestimmen zur Schauspielerin, der Münchnerin Martina Gedeck:
Eine beeindruckende Ein-Frau-Show“ (Coburger Tageblatt)
Die Schauspielerin lässt wortwörtlich tief blicken: Wenn sie Furcht, Ver­zweif­lung und dramatisch sinkenden Lebensmut aus­schließlich durch ihren Gesichts aus­druck zeigt, vor allem durch ihre Augen, dann bestaunt man ihr feines undgenaues Handwerk.“ (Spiegel.de)
Ein wirklicher Glücksfall ist die Hauptdarstellerin: Martina Gedeck. Diese Schauspielerin kann ja beides – herb und verletzlich sein. In "Die Wand" ist sie eine kühle Städterin, die glaubhaft in der erzwungenen Rolle als Bäuerin und Jägerin besteht.“ (Rheinische post)

Die Romanautorin
Die 1920 geborene Verfasserin von Novellen, Erzählungen, Roma­nen und Ju­gendbüchern Marlen Haushofer, geborene Marie Helene Frauen­dor­fer, war eine stille, zurückhaltende Frau, die in der ober­ös­ter­rei­chischen Provinz, eingeengt durch Ehe, Kin­der und Klein­stadt­alltag, verzweifelt wäre, hätte sie nicht den Anspruch gehabt, Literatur zu schaffen. Ihr lite­ra­ri­scher Werdegang begann zunächst mit klei­ne­ren Er­zählungen in Zeitschriften. Es sollte aber bis 1952 dauern, bis Haushofer ihren literarischen Durch­bruch schaffte mit der Novelle "Das fünfte Jahr", das ein Jahr im Leben eines heranwachsenden Kindes beschreibt. Für ihren Roman "Die Wand" (1963) wurde ihr der Arthur-Schnitzler Preis zuerkannt. Besonders die Le­sung dieses Romanes im Österreichischen Rundfunk verhalf der Autorin zu zunehmender Popularität.
 
 
Bella Martha
Bella Martha
(+ Martina Gedeck)
Großer Wanderatlas Salzkammergut: 120 See- und Almwanderungen, Bergtouren und Klettersteige. Mit Dachstein-Rundwanderweg
Großer Wan­der­at­las Salz­kam­mer­gut: 120 See- und Alm­wan­de­rungen