Wiener Schmäh wird oft in Reiseführern mit „Wiener Charme“ gleichgesetzt. Präziser definiert wird der [Wiener] Schmäh als typisch österreichische, manchmal auch als oberflächliche Freundlichkeit empfundene, charmante Grundhaltung, die den Wienern zugeschrieben wird. Auch wird damit eine charakteristisch wienerische Art des Humors dargestellt. Von Augenzwinkern bis hin zu skurriler Bösartigkeit ist alles erlaubt.
In Wahrheit sind alle diese Definitionen unzureichend. Was der Schmäh wirklich ist, das kann man nur schwer in Worte fassen. Es gibt keine Definition, die alles beinhaltet, was die Wiener als Schmäh verstehen.
Eine Annäherung: Schmäh ist ein eigenwilliger Humor mit einer Portion Melancholie, Sarkasmus und manchmal einem großen Schuss Morbidität. Schmäh ist nicht nur eine Art zu kommunizieren, er ist eine Lebenseinstellung.
Unlängst bin ich auf eine interessante Sichtweise der Wiener und ihrer Lebensart gestoßen. Laut dieser ist es den Wienern gelungen, den „Münchner Grant“ und die „Berliner Schnauze“ mit einer großen Portion Charme und einer zynisch-ironischen Weltsicht zu kombinieren. Das Resultat? Der Wiener Schmäh!
Schmäh hat viel mit Humor zu tun, es handelt sich aber um einen Humor, den man nicht immer gleich als solchen erkennt. Er kann gleichzeitig derb und liebenswürdig sein. Im Gewand des Schmähs können sehr viele unhöfliche Dinge gesagt werden, ohne dass diese als unhöflich aufgenommen werden. Wegen dieses Zusammenkommens von Charme und Unfreundlichkeit muss man, um damit zurechtzukommen, über eine gute Portion Selbstironie verfügen und sich nicht so schrecklich ernst nehmen.
„Das Lebendigste für den Wiener ist der Tod. Ohne die ständige Anwesenheit der „schönen Leich“, die von gestern und die von morgen, wäre der Wiener Schmäh ... deutsch.“ (Robert Schindel)
Auch der österreichische Kabarettist, Schauspieler, Autor und Filmregisseur Josef Hader spricht von einem Mix an Charme und einer gewissen Unfreundlichkeit:
„Wenn jemand charmant ist, dann wäre das ja fast langweilig, wenn da nicht auch ein bisserl Schlitzohrigkeit dabei wäre. Also jemand, der nur charmant ist, den würde man ja nicht aushalten. Das sind Geschwisterpaare, das Charmante und das Verlogene, die ohne einander gar nicht existieren können.“
„Der Schmäh ist teilweise tief, also eben unter der Gürtellinie, aber nicht wirklich bös gemeint, also man hat immer ein Lächeln auf den Lippen.“
Die Wiener Antwort auf die Dummheit der Welt. Wien gilt als Stadt mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Ein Grund dafür dürfte die mentale Infrastruktur ihrer (Ur-)Bevölkerung sein. Diese pflegt einen Humor, der als „Schmäh“ berühmt-berüchtigt ist. Aber Vorsicht: Schmäh ist nicht nur eine lokale Spielart des Witzes, sondern gelebte Philosophie.
Der Wiener Schmäh hat viele Facetten. Humor ist einer seiner wichtigsten Bestandteile. Manchmal ist der Schmäh frech, ein anderes Mal wird er zur Täuschung verwendet. Manchmal steckt etwas Bösartiges in ihm, ein anderes Mal ist er bloßes Geschwätz. Jedenfalls ist er niemals ohne Charme. Einem Nicht-Wiener fällt es sehr schwer zu erkennen, ob der Schmäh nun ein Witz war, eine Boshaftigkeit, eine Unwahrheit oder einfach nur dummes Gerede.
„Und so bleibt der Wiener Schmäh etwas nicht ganz Greifbares, bestehend aus sprachlichen Kabinettstückchen und einem Lebensgefühl, in dem sich östliche Schwermut mit südlicher Leichtigkeit verbindet und zu ganz eigenen Ausdrucksformen findet. Liebenswert ist er allemal, der Wiener Schmäh, wenn man ihn nicht allzu ernst nimmt, die Komik darin erkennt und auch das Ungesagte zwischen den Zeilen herauslesen kann. Der Wiener Schmäh ist der Rettungsanker innerhalb einer relativ negativen Lebensart.“ (Irene Binal)
Der Schmäh manifestiert sich oft in Form von radikaler Zuspitzung, parodistischer Übertreibung oder satirischer Verzerrung. Manchmal kann der Schmäh ein feiner Grad zwischen Humor und Beleidigung sein, für Touristen nicht immer richtig zu verstehen.
Eine herrliche Kombination von Schmäh und Wiener Dialekt zeigt das folgende Video.
Am besten versteht man an Beispielen, was Schmäh wirklich ist:
Einige Gäste sitzen an einem Tisch in einem guten Restaurant und werden von einem Ober mit Humor und Freundlichkeit bedient. Er serviert den Gästen das Essen, vergewissert sich, dass alles in Ordnung ist, dann wendet er sich andern Gästen zu. Nach längerer Zeit kommt er an den Tisch zurück und sieht, dass alle schon länger mit dem Essen fertig sind. „Ist bei den Herrschaften alles in Ordnung?“, sagt er freundlich und fügt verschmitzt hinzu „Ich mein’, bis auf den Service?“.
In einem Wiener Kaffeehaus: „Fesch schaun S' aus, Herr Hofrat.“ Der Gast ist verdutzt: „Ich bin doch gar kein Hofrat.“ – „Macht nix, wird scho' werdn“, erwidert der Ober mit einem Lächeln.
Unterhalten sich zwei Frauen über winterliche Kälte. Beide überbieten sich, was die Minusgrade betrifft. „Vor drei Jahren, da war der Winter so kalt, dass mir das Feuer im Ofen eingefroren ist.“ – „Ohne Schmäh?“ – „Ohne Schmäh!“
Unterhalten sich zwei Freundinnen: „Bin seit zwei Wochen nimma weggfohrn, weil ma hier sonst nie wieder an Parkplatz findt.“ – „Wozu host dann a Auto? Nur dass sich ka anderer hinstellen kann?“
Der Ober läuft dreimal an einem Touristenpaar vorbei, ohne sie zu bedienen. Der Tourist versucht, seine Aufmerksamkeit zu wecken und ruft „Hallo“. Worauf der Ober: „Sie san do ned in ana Telefozön! Wos woins?
Ein deutscher Tourist bestellt in einem Gasthaus Gulasch mit Serviettenknödeln. „Is' aus!“, sagt der Ober. „könnten Sie mir vielleicht irgendwas Ähnliches zusammenstellen: beispielsweise eine Gulaschsuppe mit Knödel?“ Daraufhin der Ober: „Des kannst du Piefke daham fressn, aber ned bei uns.“
Ein Mann setzt sich in einem Café auf einen freien Platz. Als ein Ober auftaucht, fragt er, ob er hier sitzen dürfe, woraufhin der Ober: „Du sitzt ja eh schon, hättst vorher fragn miassn.“
Eine Frau ist gestorben. An ihrem Grab stehen ihr Mann und ihr Hausfreund. Letzterer ist völlig verzweifelt und weint unaufhörlich. Da legt der Witwer tröstend seinen Arm auf die Schulter des anderen und sagt: „Nimms nicht so schwer. Ich werde sicher noch einmal heiraten.“
Andreas Rainer, Chronist der „Wiener Alltagspoeten“, sammelt seit Jahren aufgeschnappte Zitate: in den Straßen Wiens, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in Restaurants und in Kaffeehäusern.
Junge Frau am Würstelstand: „Haben Sie auch was Vegetarisches?“ Verkäufer: „Jo, a Servietten.“
Auf der Rolltreppe der U2 Schottentor: Ein Mann stellt sich direkt, ohne eine Stufe freizulassen, hinter eine Frau. Die Frau dreht sich um: „Na, wos is, soll i di huckepack trogn?“
Beim Würstelstand fällt dem Verkäufer beim Servieren ein Pommes-Stäbchen vom Teller: „Aha, da hamma an Flüchtling!“
Auch das Klischee vom morbiden Wiener darf nicht fehlen: „I loss des Corona und mein Krebs sich ausschnapsen, wer das Licht abdreht.“
Die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennonitensiedlungen
Häufig wird der Wiener Schmäh mit dem Wienerischen gleichgesetzt. Den Wiener Schmäh kann man sich in der Tat nur schwer ohne Wiener Dialekt vorstellen. Letzterer macht einen großen Teil seines Charmes aus. Durch deren Sprachmelodie und den gedehnten Vokalen klingen selbst Unfreundlichkeiten irgendwie liebenswert, während die blumige Ausdrucksweise den banalsten Ausdrücken noch eine gewisse Komik verleiht.
Ein Bröselteppich mit Chinesenschotter (Wiener Schnitzel mit Reis); ein Sechzehner-Blech (Aludose mit Ottakringer Bier aus dem 16. Bezirk); eine Eitrige (Käsekrainer); a Elefantn auf da Blosn habn (auf die Toilette müssen): Sind das nicht Ausdrücke, die zum Schmunzeln verleiten?