Mit dem Friedensvertrag von Saint Germain vom 10. September 1919 wurde der Teil Tirols südlich des Brenners zu Italien geschlagen. Südtirol wurde in den Folgejahren von der faschistischen Regierung unter Benito Mussolini einer strengen Italienisierung unterzogen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs versuchte Österreich die Siegermächte für eine Wiedervereinigung Tirols zui gewinnen. Bei den Südtirol-Verhandlungen 1945 in Paris konnten die Siegermächte aber nicht vom Anspruch der Tiroler auf Wiedervereinigung überzeugt werden. Südtirol blieb ein Teil Italiens.
Im Pariser Vertrag (auch als De-Gasperi-Gruber-Abkommen bekannt) wurden den Südtirolern lediglich Autonomierechte im Rahmen der Region Trentino-Südtirol zugestanden. Österreich wurde dabei als Schutzmacht anerkannt.
Italien verzögerte aber die Umsetzung wesentlicher Punkte des Abkommens, was zum Widerstand der Südtiroler führte. Mitnichten hatte Italien auf die Italienisierungspolitik verzichtet. So wurde beispielsweise im Jahr 1957 die Planung aufgestellt, 5.000 Wohnungen in Südtirol zu bauen, vornehmlich für italienische Zuwanderer. Die neue Südtiroler-Volkspartei-Führung unter Silvius Magnago rief daraufhin zu einer großen Kundgebung auf, an der 35.000 Südtiroler teilnahmen. Obwohl der Großteil der Anwesenden (wie auch die Mehrheit der Bevölkerung) das „Los von Rom“ forderte, beschränkte sich Silvius Magnago lediglich auf die Forderung „Los von Trient“.
Die Kundgebung hatte zur Folge, dass die internationale Aufmerksamkeit auf das Südtirolproblem wieder erstarkte, zumal Österreich nach dem Staatsvertrag von 1955 Südtirol zu einem zentralen Thema gemacht hatte.
Nach diversen erfolglosen Sondierungsgesprächen zwischen Rom und Wien kam das Südtirol-Problem endlich auf die Tagesordnung der UN-Vollversammlung. Die UN-Resolution 1497/XV vom 31. Oktober 1960 deklarierte den Pariser Vertrag als bindend. Von Seiten Italiens kamen zwar Lippenbekenntnisse, in der Praxis gab es kaum Änderungen.
Aus lauter Frustration über diese Politik Italiens kam es deshalb zwischen den Jahren 1956 und 1969 zu einer Serie von Bombenattentaten. Bis 1961 richteten sich diese Anschläge, die vom BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) organisiert wurden, nicht gegen Menschen, sondern symbolisch nur gegen die Strommasten, die den Strom in die italienischen Industriegebiete lieferten.
Der Befreiungsausschuss Südtirol war eine Mitte der 1950er vom SüdtirolaktivistSepp Kerschbaumer und acht Mitstreitern gegründete Untergrundorganisation, die durch Flugbätter und Anschläge auf staatliche Symbole die Loslösung der Autonomen Provinz Bozen von Italien erkämpfen wollte.
Am Anfang war das oberste Gebot der Gruppe, dass Menschen auf gar keinen Fall zu Schaden kommen sollten. Bevorzugtes Ziel waren deshalb zunächst Strommasten und faschistische Denkmäler. Nicht geplant war jedoch während der sogenannten Feuernacht (die Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961, in der in Südtirol 37 Strommasten gesprengt wurden) der Tod des Straßenwärters Giovanni Postal, der beim hantieren an einer Sprengladung starb.
Unmittelbar nach den Anschlägen in der Feuernacht wurde Südtirol von der Italienischen Regierung in ein Heerlager verwandelt. Hausdurchsuchungen waren an der Tagesordnung und bereits nach wenigen Tagen waren mehr als 150 Männer des BAS verhaftet worden. In der Folge kamen Sachen vor, die eines zivilisierten, „demokratischen“ Staates nicht würdig sind: Die Verhafteten wurden gefoltert und zwei Aktivisten starben an den Folgen der Misshandlungen, was die internationale Presse empörte.
Silvius Magnago forderte eine strenge Untersuchung und Bestrafung der schuldigen Polizeibeamten. 1963 wurden zwar zehn Carabinieri tatsächlich beschuldigt, Häftlinge misshandelt zu haben, aber in dem Prozess wurden trotz eindeutiger Beweise acht Carabinieri „wegen erwiesener Unschuld“ freigesprochen und die zwei schuldig gesprochenen wurden bald amnestiert.
Feuernacht. Südtirols Bombenjahre
Herz Jesu Feuernacht Südtirol 1961. Die Anschläge – die Folterungen – die Prozesse – die Rolle Österreichs
Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und Überleben
Der Streit zwischen Österreich und Italien kam schließlich im November 1961 erneut vor die UNO, die mit der Resolution 1661/XVI die Resolution von 1960 bestätigte. Gleichzeitig nahm auch die aus elf Italienern, sieben Südtirolern und einem Ladiner bestehende Neunzehnerkommission ihre Arbeit auf, die eine Lösung für die Südtirolproblematik finden sollte.
Am 9. Dezember 1963 begann der erste Südtiroler Sprengstoffprozess gegen 94 Angeklagte (87 aus Südtirol, 6 aus Österreich, einer aus der BRD), von denen sich 68 in Haft befanden. Die Anklagepunkte lauteten: 92 Anschläge auch Leitungsmasten, acht auf Wohnhäuser im Rohbau, Attentate auf militärische Einrichtungen, weiter die Anklage wegen Mordes (an Giovanni Postal) und schließlich Anklage wegen Hochverrats.
Am 16. Mai 1964 wurden die Urteile gesprochen: Vier flüchtige Angeklagte erhielten jeweils 20 Jahre Gefängnis, acht bekamen Strafen zwischen zehn und 20 Jahren, 35 Angeklagte zwischen vier und zehn Jahren, 27 wurden freigesprochen oder amnestiert. Insgesamt kamen 46 Südtiroler frei, während nur 22 blieben weiter in Haft bleiben mussten.
Südtirol - Zwischen Bomben und Autonomie
Die relativ „milden“ Urteile sind damit zu erklären, dass der Präsident des Schwurgerichts, Gustavo Simonetti, auf Druck der Regierung Aldo Moro die Anklagen wegen Hochverrats – worauf lebenslänglich gestanden wäre – fallen ließ, die Attentäter also nicht im Sinne der Artikel 241 („Anschlag auf die Einheit des Staates“) und 283 („Anschlag auf die Verfassung“) verurteilt wurden, sondern wegen anderer Delikte (unerlaubter Besitz von Waffen und Sprengstoff, Anrichtung von Sachschäden usw.). Das war möglich gewesen, weil die Attentäter (von ihren Verteidigern überzeugt) von der Selbstbestimmung als Ziel ihrer Taten auf das der Autonomie umgeschwenkt waren. Viele der Verurteilten Südtiroler wurden später vorzeitig aus der Haft entlassen. Es gab, sowohl auf österreichischer als auch auf italienischer Seite offensichtlich der Wille, das Problem „Südtirol“ zu lösen.
Sepp Kerschbaumer als Führer des BAS wurde zu 15 Jahren und 11 Monaten Gefängnis verurteilt und verstarb bereits frühzeitig (1964) in der Haft. Seine Beisetzung wurde zu einer Demonstration: Mehr als 15.000 Menschen kamen zur Beerdigung. Denn wenn auch der BAS vom italienischen Staat als „terroristische und separatistische Bedrohung“ gesehen wurde, so wurden ihre Teilnehmer – im Volksmund verharmlosend als „Bumser“ bezeichnet – von einem großen Teil Südtiroler Bevölkerung als Freiheitskämpfer gesehen.
Nach der Ausschaltung der ersten Generation des BAS radikalisierten sich die verbliebenen Mitglieder, auch wegen der Kompromissbereitschaft, die sowohl die Südtiroler Volkspartei als auch die italienische Regierung zeigten. Neben flüchtigen BAS-Mitgliedern wie Georg Klotz und Luis Amplatz, traten nun auch vermehrt neonazistische Elemente in Erscheinung.
Aus diesem Grund wurde die zweite Serie von Attentaten (1961 bis 1969) viel gewalttätiger als die erste. Es gab 21 Tote (15 Staatsvertreter, zwei Zivilisten und vier Mitglieder des BAS), sowie 57 Verletzte (24 Staatsvertreter und 33 Zivilisten). Italien drohte mit einem Veto zum EWG-Beitritt Österreichs. Auch deshalb wuchs der Druck Österreichs auf die BAS-Aktivisten. Sowohl Italien als auch Österreich verfolgten jetzt den Terror ohne Rücksicht.
So wurde beispielsweise der Tiroler Landesrat und österreichische Nationalratsabgeordnete Aloys Oberhammer aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner ideellen Mitarbeit beim BAS 1966 im zweiten Mailänder Prozess zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Am 16. Dezember 1964 einigten sich die Außenminister Italiens und Österreichs, Saragat und Kreisky, auf einer Geheimkonferenz in Paris auf die Vorschläge der Neunzehnerkommission, die als Südtirol-Paket bezeichnet wurden und eine Reihe von Gesetzes- und Verfassungsänderungen beinhalteten. Sie sollten später zum zweiten Autonomiestatut führen.
1972 wurde das Paket schließlich endgültig ratifiziert. Die italienische Verfassung erkennt heute die Autonomie Südtirols, amtlich Autonome Provinz Bozen, offiziell an. Somit findet sich der Grundstein für die Südtiroler Autonomie direkt in Italiens höchster Rechtsquelle.
Südtirol: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart