Weshalb das Jahr 1955 für
mich von Bedeutung ist? Weil ich im Sommer 1955 als Kind erstmals
nach Wien kam und dort meine Großeltern
besuchen durfte. Zehn Jahre vorher hatte sich mein Vater, der als Naziverfolgter
1945 von der russischen Besatzung inhaftiert
worden war und zur Mitarbeit „überredet“ werden
sollte, in einer abenteuerlichen Flucht in die amerikanische
Besatzungszone gerettet.
Bis zum Abzug der Russen aus Wien in Folge des Staatsvertrags
von 1955 wagte es demnach mein Vater nicht mehr, nach Wien
zurückzukehren.
Der Österreichischen
Staatsvertrag von 1955, im allgemeinen Sprachgebrauch nur der Staatsvertrag genannt, stellte die Unabhängigkeit des
Landes wieder here.
Vorgeschichte
Gegen Ende des Zweiten
Weltkriegs waren alliierte Truppen weit in Österreich vorgedrungen. Zunächst, am 13. April 1945, hatte die Rote Armee den Kampf um Wien für sich entschieden, etwas später waren die Westalliierten von Westen her vorgedrungen. Somit wurde Österreich von französischen, amerikanischen, britischen
und russischen Truppen besetzt, bzw. befreit. Tatsächlich hatte die UdssR die Absicht, nach dem Krieg den Staat Österreich wiederherzustellen. Die Sowiets und die Westalliierten hatten bereits 1943 in der Moskauer Deklaration festgestellt, dass der Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes 1938 an das Deutsche Reich null und nichtig anzusehen sei, und dass die Befreiung Österreichs eines ihrer Ziele sei.
De facto war Österreich aber nicht nur befreit, sondern auch besetzt und in vier Besatzungszonen aufgeteilt: Vorarlberg und Tirol gehörten zur französischen Zone, Kärnten, die Steiermark und Osttirol zur britischen, Salzburg und der südlich der Donau gelegene Teil Oberösterreichs zur US-amerikanischen und Oberösterreich nördlich der Donau, Niederösterreich und das Burgenland zur sowjetischen Zone. Wien wurde in vier Sektoren aufgeteilt (ähnlich wie Berlin), wobei der erste Bezirk von den Alliierten gemeinsam verwaltet wurde. Diese Besatzung dauerte bis 1955 an, nämlich bis zum genannten zum Staatsvertrag.
Bereits am 27. April 1945, also noch vor der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (am 8. Mai 1945), wurde die Unabhängigkeitserklärung Österreichs proklamiert. Karl Renner wurde von Stalin selbst beauftragt, einer Regierung zu bilden. Am 29. April trat die provisorische österreichische Staatsregierung zusammen.
Die Regierung Renner und die darauf folgenden Regierungen
Figl und Raab setzten alles daran, den Abzug der Alliierten
zu erreichen. Die politische Unabhängigkeit
und den damit verbundenen Abzug der alliierten
Truppen erreichte Österreich aber erst mit der Unterzeichnung des
Staatsvertrags am 15. Mai 1955.
Die Unterzeichnung
Der genaue Wortlaut des Vertragswerks
hieß: Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung
eines unabhängigen und demokratischen Österreich,
gegeben zu Wien am 15. Mai 1955. Er wurde am
besagten 15. Mai in Wien im Schloss Belvedere von Vertretern
der Alliierten Besatzungsmächten USA, UdSSR,
Frankreich und Großbritannien und der österreichischen
Regierung unterzeichnet.
Nach der Unterzeichnung des Vertrages,
der am 27. Juli 1955 in Kraft trat, verkündete Außenminister
Leopold Figl: "Österreich ist frei!"
Wichtige Punkte des Vertrages
Österreich verpflichtet sich,
keine wie immer geartete politische oder wirtschaftliche
Vereinigung mit Deutschland einzugehen (Anschlussverbot).
Ein bis zum heutigen Tag nicht
erfüllter Artikel des Vertrages ist jener betreffend
die Minderheitenrechte der Kroaten und Slowenen. Siehe Ortstafelstreit.
Österreich verpflichtet sich im Vertrag, alle nationalsozialistischen
Organisationen aufzulösen und keine Wiederbetätigung
von nazistischen und faschistischen Organisationen
zuzulassen.
Österreich
Die zweite Republik
Österreich ist frei
Wien 1945-1955
Ausdrücklich aufrecht erhalten
wird das Habsburger-Gesetz von 1919. Nach diesem wurden u.a.
alle Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, die nicht auf
Herrschaftsansprüche verzichteten und sich als Bürger
der Republik Österreich bekannten, des Landes verwiesen.
Österreich verpflichtete sich
mit Unterzeichnung, der Sowjetunion die bis dahin
von ihr verwalteten deutschen Vermögenswerte abzulösen,
innerhalb von sechs Jahren waren rund 150 Millionen Dollar zu
zahlen.
Die Alliierten verpflichteten sich dazu, alle ihre Truppen
von österreichischem Staatsgebiet abzuziehen.
Darüber hinaus kündigte Österreich an, nach
Abschluss des Staatsvertrags aus freien Stücken die immerwährende
Neutralität zu erklären (Neutralitätsgesetz
vom 26. Oktober 1955), die somit zwar nicht im Staatsvertrag,
jedoch mit diesem in engem Zusammenhang steht.
Nach dem Zerfall der UdSSR fiel
der ursprüngliche Grund der Neutralität weg, Österreich
konnte sich aber nicht zu deren Abschaffung durchringen. Österreich
trat niemals der NATO bei.
1965 wurde in Parlament und Bundesregierung beraten, welcher Tag als Nationalfeiertag festgelegt werden sollte. Eine Reihe von Tagen standen zur Debatte: Der 12. November (Ausrufung der Ersten Republik 1918); der 27. April (Proklamation über die Selbständigkeit Österreichs und Bildung einer provisorischen Staatsregierung im Jahr 1945); der 15. Mai (Unterschreibung des Staatsvertrags im Jahr 1955) und der 26. Oktober (Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes über die österreichische Neutralität).
Die größte Zustimmung fand der 26. Oktober, und so beschloss der Nationalrat am 25. Oktober 1965 einstimmig mit einem Bundesgesetz dieses Datum.