Geschichte

Der Spionagefall Oberst Redl



Vor 150 Jahren, am 14. März 1864, kam Al­fred Redl in Lem­berg, Ga­li­zien, auf die Welt. Mit sei­nem Hoch­ver­rat sorg­te er für den größ­ten Spio­na­ge­fall der ös­ter­rei­chi­schen Ge­schich­te. Er ging als „Jahrhun­dert­spion“, „homosexueller Verräter“ oder „Totengräber“ der k. u. k. Monarchie in die Geschichte ein, und galt fälschlicherweise als Mitverursacher der frühen Niederlagen der öster­rei­chisch-ungarischen Armee gegen Russland. Die Affäre hatte für das Ansehen der Armee schwere Folgen; es war der schwerste Spio­nagefall vor dem 1. Weltkrieg.
Dieser Spionagefall kam am 25. Mai 1913 um zwei Uhr in der Früh zu seinem Ende, als sich Alfred Redl, Oberst des Generalstabs, mit einer Brown­ing-Pistole in einem Zimmer des Hotels Klomser in Wien eine Kugel in den Kopf jagte.
Redls militärische Laufbahn begann 1881 in der Kadettenanstalt in Karthaus bei Brünn. 1887 kam er als Leutnant zum In­fan­te­rieregiment Nr. 9, von 1892 bis 1894 be­such­te er die Kriegsschule, 1894 wurde er zum Ge­ne­ral­stab versetzt. 1899 kam er als Haupt­mann in das Evidenzbüro (die Zen­tra­le des militärischen Nachrichtendienstes der ös­ter­rei­chisch-un­ga­ri­schen Mo­narchie) des Ge­ne­ral­stabs. 1912 wurde er Oberst im Generalstab und Ge­ne­ral­stabs­chef des k. u. k. VIII. Armeekorps in Prag.

Es ist nachgewiesen, dass Redl mindestens ab Anfang 1907 für den rus­si­schen Nach­rich­ten­dienst arbeitete. Er verschaffte dem russischen Ge­ne­ral­stab In­for­mationen über die Organisation und Arbeitsweise des Evidenzbüros und be­hin­derte die österreichisch-ungarische nach­rich­ten­dienst­liche Tätigkeit gegen Russland. Er gab wesentliche Teile der operativen Pla­nun­gen der k. u. k. Ar­mee gegen Russland und Serbien weiter sowie Informationen über Kriegs­vor­be­rei­tungen gegen Italien, Mo­bi­li­sie­rungs­an­wei­sungen für die ent­spre­chen­den Kriegsfälle, des Weiteren Fes­tungs­in­for­ma­tionen, Übersichten bzw. An­wei­sungen für die Sicherung des Eisenbahnwesens und der Minenanlagen.
Die beiden Autoren Hannes Leidinger und Verena Moritz widerlegen in ihrem genauestens re­cher­chier­ten Buch „Oberst Redl. Der Spio­na­gefall, der Skandal“ die These, dass die zum Teil dra­ma­ti­schen Niederlagen der k. u. k. Armeen am An­fang des Ersten Weltkriegs auf Redls Verrat zu­rück­zu­führen gewesen seien. „Aufgrund der Veränderungen der politischen, mi­li­tä­ri­schen und stra­te­gischen Lage in den Jahren 1913/14 hat sich die Aus­gangs­si­tua­tion, in der Redl spioniert hatte, grund­le­gend ver­ändert, sodass eine direkte Aus­wir­kung auf die Feldzüge nicht mehr nachweisbar ist“.
Spionage (Franz Antel / 1955) - Trailer

Zur Enttarnung kam es wegen eines ein­ge­schrie­be­nen Briefes, der in einer kleinen ost­preu­ßi­schen Stadt in der Nähe der russischen Grenze aufgegeben worden war und an einen Nikon Nizetas adressiert war. Da der Brief einige Wo­chen lang nicht abgeholt wurde, wurde er zu­rück­geschickt und an­schlie­ßend an die Post­di­rek­tion in Berlin weitergeleitet. Dort öffnete man den Brief und fand 6000 Kronen (etwa 16.000 Euro). Man vermutete sofort, dass es sich um Spionage handelte, und informierte das Evi­denz­büro in Wien. Als Redl am 24. Mai 1913 am Hauptpostamt nach Briefen an diesen Nikon Nizetas verlangte, schnappte die Falle zu.

Als der Fall gemeldet wurde, befahl der Chef des österreichischen Gene­ral­stabs, Conrad von Hötzendorf, dass die Angelegenheit in aller Stille erledigt werden solle. Die peinliche Panne des Geheimdienstes sollte vertuscht wer­den. Man händigte Redl einen Revolver aus und appellierte an seine Offi­ziers­ehre. In den Mor­gen­stun­den des 25. Mai 1913 er­schoss sich Alfred Redl. Der Generalstab sah durch diese Affäre die Monarchie kom­pro­mit­tiert und ver­such­te sie zu vertuschen. So wurde am nächs­ten Tag nur sein Selbs­tmord („aus un­er­klär­li­chen Mo­ti­ven“) bekannt gegeben und ein offizielles Be­gräb­nis angekündigt.

Doch die Rechnung des Generalstabs ging nicht auf. Am Montag, dem 26. Mai, erschien in der Abendausgabe der Prager Zeitung Bohemia ein Artikel des „Rasenden Reporters“ Egon Erwin Kisch, der in Wien und ganz Eu­ro­pa wie eine Bombe einschlug. Obwohl es offiziell keinerlei Verfehlungen des verstorbenen Herrn Oberst Alfred Redl gegeben habe, ließ sich die Wahrheit nicht mehr ver­bergen. Um bei der Ver­öffentlichung eine Beschlagnahme sei­tens der Staats­an­walt­schaft zu umgehen, wandte die Zeitung eine List an: Sie brachte das Ereignis nicht als Meldung, sondern als (fingiertes) Dementi.


Oberst Redl (István Szabó) - Trailer

Seine Recherchen über Redl beschrieb Kisch spä­ter detailliert in seinem im Jahr 1924 he­raus­ge­ge­ben Buch "Der Fall des Gene­ral­stabs­chefs Redl".

Stefan Zweig schrieb in seinem Buch „Die Welt von gestern" über den Fall: „Ein Schauer des Entsetzens ging durch die Ar­mee. Alle wussten, daß im Kriegsfall dieser eine Mensch das Leben von Hun­dert­tau­sen­den gekostet hätte und die Monarchie durch ihn an den Rand des Ab­grunds ge­ra­ten wä­re; erst in dieser Se­kun­de be­grif­fen wir in Ös­ter­reich, wie atem­na­he wir im ver­gan­ge­nen Jahr dem Welt­krieg schon gewesen.“
Die Gründe für Redls Verrat waren denkbar banal. Er brauchte Geld! Er neigte dem Luxus zu, war in höchstem Maße verschwendungssüchtig und er brauch­te Geld, um seine Liebhaber zu fi­nan­zie­ren, denen er sehr hohe Apa­nagen zahl­te. Die bereits genannten Historiker Hannes Leidin­ger und Verena Moritz wie­sen nach, dass Alfred Redl nicht vom russischen Geheimdienst erpresst wur­de, was man wegen seiner Ho­mo­se­xua­li­tät ver­mutet hatte, sondern dass er von sich aus seine Dienste anbot.
Wann genau Redls Verrat begonnen hatte, lässt sich heute nicht mehr mit Ge­wiss­heit re­kons­tru­ieren, zu viele Akten wurden vernichtet, und Redl selbst konnte nicht mehr befragt werden. Zu­nächst ging die Forschung von den Jah­ren zwi­schen 1905 und 1908 aus. Nach Hannes Lei­din­ger und Verena Moritz könnte Redl hin­ge­gen schon vor 1903 spioniert haben. Sicher ist, dass sich ab 1907 Redls Lebensstil radikal änderte: Davor musste er wegen seiner Schul­den be­schei­den leben, danach verprasste er sein Geld.

Der größte Spionageskandal in der Geschichte der Donaumonarchie wurde zum interessanten Thema für Literatur, Theater und Film. Im Jahr 1955 ver­filmte Franz Antel das Sujet, wobei er die Theorie der Erpressung ver­tritt. Ein ge­wis­ser Leutnant von Baumgarten erpresst Oberst Redl, mit dem er eine Af­färe hat. 1985 zeichnete der ungarische Regisseur István Szabó das Porträt eines ehrgeizigen Emporkömmlings: Al­fred Redl als Machtmensch, gespielt von Klaus Ma­ria Bran­dauer.