Geschichte

Republik Deutschösterreich (1918-1919)



Nach der definitiven Niederlage der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg (Waf­fenstillstand von Villa Giusti, 3. No­vem­ber 1918) war die Habsbur­ger­mo­nar­chie am Ende. Bereits am 31. Oktober hatte das Königreich Ungarn die Real­union mit Österreich beendet. Am 11. November 1918 verzichtete Karl I. als Kaiser von Österreichauf jeden Anteil an den Staats­ge­schäften“, zwei Tage später als König Karl IV. von Ungarn auf das Königreich Ungarn.

Auf dem Territoriun der bisherigen ös­ter­rei­chi­schen Reichshälfte (Cis­lei­tha­nien) gründeten sich die neuen souveränen Staaten Tsche­cho­slo­wakei und Deutsch­ös­ter­reich. Ungarn blieb ein verkleinertes Königreich ohne König. Weite Gebiete wechselten zu Italien, zum neuen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, zu Rumänien und zu Polen, welches aus Teilen Altösterreichs, Deutschlands und Russlands wiedererschaffen wurde.


Der Schriftsteller Stefan Zweig schilderte in seinem 1942 im Exil erschienen Werk „Die Welt von Gestern“ die schweren Stunden Österreichs nach dem Ende des Ersten Weltkriegs: „Die Tschechen, die Polen, die Italiener, die Slo­wenen hatten ihre Länder weggerissen. Was übrig blieb, war ein ver­stümmelter Rumpf, aus allen Adern blutend. Von den sechs oder sieben Millionen, die man zwang, sich Deutsch-Österreicher zu nennen, drängte die Hauptstadt schon zwei Millionen frierend und hungrig zusammen . . .“
„ . . Die Grenzen waren noch unbestimmt, da der Friedenskongress kaum be­gonnen hatte, die Verpflichtungen nicht festgelegt . . .“
„ . . Zum ersten Mal, meines Wissens, im Lau­fe der Geschichte, er­gab sich der pa­ra­do­xe Fall, dass man ein Land zu einer Selbststän­dig­keit zwang, die es selber erbittert ablehnte. Österreich wünsch­te entweder mit den alten Nachbarstaaten wieder vereinigt zu wer­den oder mit dem Stam­mes­verwandten Deutschland . . .“
„ . . Den Anschluss an Deutschland verboten andererseits die Alli­ier­ten, um das besiegte Deutschland nicht zu stärken. So wurde de­kre­tiert, die Republik Deutsch -Österreich muss bestehen bleiben. Ei­nem Lande, dass nicht existieren wollte, Unikum in der Ge­schich­te anbefohlen, du musst vorhanden sein!“
Während und nach dem Zerfall der Ös­ter­rei­chisch-Ungarischen Monarchie tagte vom 21. Oktober 1918 bis zum 16. Feber 1919 das erste Parlament des Staates Deutschösterreich, die Provisorische Na­tio­nal­ver­samm­lung für Deutschösterreich. Es wirkten auch Abgeordnete mit, deren Gebiete dem Staat Deutschösterreich letztlich nicht angehören durften, weil es die Siegermächte des Ersten Weltkriegs anders bestimmten, also die Sude­ten­deut­schen, die Deutschsüdtiroler sowie die Deutsch-Untersteirer. Zum ers­ten Prä­si­den­ten der Pro­vi­so­rischen Na­tio­nalversammlung, also zum Staats­ober­haupt, wurde Franz Ding­ho­fer gewählt. Landes­haupt­stadt wurde die Stadt Wien.
Zunächst wurde das Staatsgebiet Österreichs in Anlehnung an die deutsch­sprachigen Gebiete Österreichs Deutschösterreich genannt. Am 12. November 1918 rief der so­zial­de­mokratische Staatskanzler Karl Renner in Wien die Republik Deutschösterreich aus. Diese berief sich auf das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker und damit auf das 14-Punkte-Pro­gramm des ame­rikanischen Prä­si­den­ten Wil­son. Das äu­ßer­te sich im Gesetz über die Staats- und Re­gie­rungs­form von Deutsch­österreich:
Artikel 1: Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffent­li­chen Gewalten werden vom Volke eingesetzt.
Artikel 2: Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deut­schen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutsch­österreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Re­publik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Ein­rich­tungen der Deutschen Re­publik auf Deutschösterreich.
Mit dem Gesetz vom 22. November 1918 legte die deutsch­ös­ter­rei­chische Na­tionalversammlung fest, dass sie die Gebietshoheit über das ge­schlossene Sie­dlungs­gebiet der Deutschen in­ner­halb der im Reichsrat vertretenen Kö­nig­rei­che und Länder ausübte:
Niederösterreich einschließlich des Krei­ses Deutsch-Südmähren und des deutschen Gebietes um Neubistritz,
Oberösterreich einschließlich des Kreises Deutsch-Südböhmen,
Salzburg,
Steiermark ohne die südslawischen Ge­biets­teile,
Kärnten mit Ausschluß der südslawischen Gebiete,
Deutschtirol mit Ausschluß Welschtirols aber mit den ladinisch-be­sie­del­ten Landesteilen,
Vorarlberg,
Deutsch-Böhmen,
Sudetenland,
Deutsch-Westungarn sowie
— die deutschen Siedlungsgebiete von Brünn, Iglau  und Olmütz.
Von ihrer Fläche her umfasste die erste Republik knapp 120.000 Qua­drat­ki­lometer und wurde von gut zehn Millionen Einwohnern bewohnt.

Das politische Selbst­verständnis der Republik Deutschösterreich war ohne Zweifel großdeutsch ausgelegt. Im Frühjahr 1919 begannen die Ver­hand­lun­gen zwischen dem Deutschen Reich und Deutschösterreich mit dem Ziel, die beiden deutschen Staaten zu vereinigen. Laut einem Geheimplan sollten die deutsche Reichsregierung und die deutsch­ös­ter­rei­chi­sche Re­gie­rung einen Staatsvertrag zur Durchführung des Zusammenschlusses ab­schlie­ßen. Der Zusammenschluss sollte auf der Grund­lage erfolgen, dass Deutsch­österreich als selbs­tändiger Gliedstaat in das Reich entreten wür­de. Deutsch­österreich hätte dem­nach beim Eintritt ins Deutsche Reich seine deutsch­ös­ter­rei­chische Identität und sei­nen historisch ge­wach­se­nen Struk­tu­ren wah­ren können. Wien sollte zwei­te Reichshauptstadt werden und der Deutsche Reichs­tag alljährlich eine Sitzung in dieser Stadt abhalten müsse.
Der Friedensvertrag von St. Germain

Es stellte sich bereits im Frühjahr 1919 heraus, dass das Staatskonzept Deutsch­ös­ter­reichs nicht realisierbar war. Es gelang dem Kriegs­ver­lie­rer Österreich nicht, all die deutsch­sprachigen Gebiete des früheren kai­ser­lichen Österreich in ihrem Staat zu­sam­men­zu­fassen. Südtirol wurde am 3. No­vember 1918 von Italien besetzt und an­nek­tiert; die mehr­heitlich deutsch besiedelten Gebiete Böh­mens und Mährens wurden von der Tsche­cho­slo­wa­kei besetzt und schließlich annektiert.

Am 10. September 1919 musste Staatskanzler Renner den Vertrag von Saint-Germain un­ter­schrei­ben, der als „Diktat der Sie­ger­mäch­te“ be­zeich­net wur­de. Er ze­men­tier­te die größ­ten­teils be­reits er­folg­te Auf­lö­sung der ös­ter­rei­chi­schen Reichs­hälf­te. Mit der Ra­ti­fi­zie­rung des Ver­tra­ges durch die Na­tio­nal­ver­samm­lung am 21. Oktober 1919 wurde der Na­me Deutsch­ös­ter­reich von den Siegermächten verboten. Vorschläge, die Republik z.B. Süd­ost-Deutschland, Alpen-Germanien oder Donau-Deutsch­land zu nennen, konn­ten sich nicht durchsetzen. Am 21. Oktober 1919 wurde die Staats­be­zeich­nung „Republik Deutsch­österreich“ in „Republik Öster­reich“ umgewandelt.

Mit dem Verlust der deutschsprachigen Gebiete wurden rund vier Mil­lio­nen „un­zwei­fel­haft deutsche Einwohner“ daran gehindert, in einem ge­mein­sa­men deutschsprachigen Staat zu leben.

Auch der Zu­sam­menschluss mit der Weimarer Republik konnte, trotz der Be­rufung auf das von US-Präsident Woodrow Wilson formulierte Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker, nicht realisiert werden. Dem stand das „Anschlussver­bot“ ent­ge­gen, das sowohl im Vertrag von Saint-Germain für Ös­ter­reich als auch im Ver­sail­ler Vertrag für das Deutsche Reich fest­ge­hal­ten wurde. Die Siegermächte des „Gro­ßen Krie­ges” woll­ten ein neues über­mäch­ti­ges Deutsch­land verhindern.