Geschichte

Die Karnische Front im Ersten Weltkrieg



Gebirgskrieg
Der Gebirgskrieg 1915–1918 zwi­schen Ös­ter­reich-Ungarn (mit deu­tscher Hilfe) und Ita­lien (mit Unter­stützung der anderen Alliierten) war im Wesentlichen ein Stellungs­krieg. Es gab fünf Hauptfronten: vom Stilfser Joch zum Gar­da­see, vom Gardasee bis zum Kreuz­berg­sat­tel bei Sexten, auf den Kämmen der Kar­ni­schen und Ju­li­schen Alpen, am Isonzo und an der Piave-Grappa-Front. Die Stellungen lagen teilweise auf fast 4000 m Höhe.
Nie wieder würden sich zwei Armeen in diesem Umfang auf einen Ge­birgs­krieg einlassen, wie es 1915–1918 geschehen war.
Mein Großvater,
Of­fi­zier in der K. u. k. Armee
Mit der Kriegs­er­klä­rung des König­reichs Ita­lien an Ös­ter­reich-Un­garn am 23. Mai 1915 ent­stand ei­ne Ge­birgs­front, die sich vom Stilf­ser Joch bis zur Adria west­lich von Triest er­streck­te, die Ös­ter­reich vom Sü­den her di­rekt be­droh­te. Erst­mals in der Ge­schich­te wur­de die Hoch­re­gion der Al­pen zum Schau­platz lang an­hal­ten­der schwe­rer Kämpfe. Vom Ortler bis zur Adria entstand ein weit verzweigtes Wegenetz, das die Täler mit den Hö­hen­stel­lun­gen verband. Diese Frontwege sollten ab den 1980er Jahren als Erin­ne­rungs­stät­ten ein­gerichtet und als „Frie­dens­wege“ bezeichnet werden.
Auch der Karnische Hauptkamm vom Hornischek bis zum Nassfeld wurde zur Gebirgsfront. Brenn­punkt der Kampfhandlungen waren haupt­säch­lich der Plö­cken­pass und die an­gren­zen­den Hö­hen­zü­ge zwischen Cellon, Kleiner Pal - Frei­kofel und Großer Pal.
Gebirgskrieg
Im Spätherbst 1917 kam es, nach dem Durch­bruch der österreichisch-deut­sche Armee bei Flitsch und Tolmein, zur Räumung dieses Front­abschnitts.
Aus dem Kriegstagebuch meines Großvaters
" . . . In der Nacht wurden wir ein­wag­go­niert und gegen 2 Uhr früh ging es los über Laibach-Assling nach Oberdrauburg. Dort kamen wir in der Nacht an. Wir mar­schier­ten bis Simerlach. Auf einer Wiese wurde Zeltlager aufgeschlagen und geschlafen. Das Aufwachen am Morgen ist nicht zum be­schrei­ben. Wir kamen aus einer öden Wüste (Bem.: von der Isonzo-Front in Friaul), aus Staub und Stein, kein Wasser, nur Not und Tod und hier - alles so frisch und grün, da und dort rieseln die klaren Wasser herunter, unglaublich, man kann Wasser nehmen soviel man will, man kann sich waschen, ja da hat man die Wohltat des Wassers recht kennengelernt. Wir kamen uns wie auf einer an­deren Welt vor. Den ganzen Tag wurde gewaschen und geputzt, ich konnte die schöne Bergwelt nicht genug bewundern, immer richteten sich meine Blicke auf den Hochstadel, wo noch ein kleiner Schneefleck herüber­glänzte . . .
. . . Am 3. Sept. 1915 hieß es aufwärts durch den Nölblinggraben gegen den Ho­hen Trieb zu. Wir besichtigten die Stellung (es war gerade Neuschnee ge­fallen), später kam die Truppe nach und wir lösten also die vor­derste Linie ab. Mit mei­ner 4. Kompanie kam ich in der Gegend des Zollnersees in Stel­lung (etwa 1800 m hoch). Vor uns ging es steil hinunter bis ins Tal, erst am ge­gen­seitigen Hang wa­ren die Italiener. So hatten wir Gewehrfeuer von vorne nicht zu er­war­ten, aber etwas von der rechten Flanke von dem 2195 m Hohen Trieb und dem 2006 m ho­hen Findenig Kofl in der linken Flanke . . .
Auf Großvaters Spuren (Kaverne des Ersten Weltkriegs/ mit dem Findenig Kogel im Hintergrund)
„ . . . Wir kamen auf die Straniger Alpe beim Gartenerkofl; es sollte ein Angriff ge­gen den Findenigkofel und Cima di Puartis un­ter­nommen werden, denn da hat­ten die Ita­lie­ner einen Keil in diesen Linien. Frisch war es schon in der Nacht, als wir dort oben in Vorbereitung lagen. Etwa am 15. Sep­tem­ber früh ging der Tanz los. Diesmal schoß die Artillerie ausnahmsweise großartig; ich war mit mei­nem Fähnlein Reserve, konnte mir also vormittag in der Sonne den Bauch wär­men. Nachmittag war die eine Spitze unser und ich wurde be­fohlen, am Puartis (1966 m) die Reste von Italienern zu vertreiben und dort Stellung zu beziehen. Durch eine Schrunse wand ich mich hinauf, inzwischen waren die Italiener ver­schwunden und ich sandte ihnen nur ein paar 'Bohnen' nach. Dann fing ich an, mich oben zu installieren. Ich mußte die ita­lie­nische Stellung 'um­dre­hen', also für uns ausbauen. Das war harte Arbeit, denn die Italiener sind tadellose Erd­ar­bei­ter aber über Nacht war die Sache geschafft. Bei ihrer Flucht hatten die Italiener eine Menge von Aus­rüs­tungs­ge­genständen zu­rück­ge­lassen . . .
. . . Anfang Oktober traf uns die Nachricht, daß man von der schönen Stellung weg sei und gerade 2 Tage vorher die alte Stellung beim Hohen Trieb bezo­gen habe. Ich wan­derte also hinauf und übernahm den 'Kleinen Trieb' 2160 m. Natürlich war schon alles im Schnee. Oben die Offiziersbaracke war ein Glas­pa­last, zwar wunderschöne Aussicht auf die Hohen Tauern, aber der Erbauer hatte keine Ahnung, daß es da oben bitter kalt sein kann. Auch für die Mann­schaft war sehr schlecht vorgesorgt. Der 'brave' Vorgänger hatte z.B. den zu mir he­rauf­führenden Weg mit etwa 40 cm hohen Pflöcken und Draht eingesäumt. Wie sich dieser (er war älter als ich) Hauptmann einen Winter im Hochgebirge vor­stellte! Ich habe dann 4 m lange Stangen auf­ge­stellt und von diesen rag­ten dann kaum die Spit­zen he­raus. Ich muß­te mich al­so be­que­men, jetzt, so spät, die gan­ze Stel­lung neu aus­zu­bau­en. Zu­erst muß­te die Mann­schaft neue Un­ter­künf­te be­kom­men, denn es gab schon täg­lich er­fro­re­ne Fü­ße. Ich for­derte also Bretter und Spreng­ma­terial an. Letzteres bekam ich spärlich, aber die Bretterfrage löste unser Pro­viant­of­fizier wie­der großzügig. Er setzte einfach eine Reichs­ita­lie­ni­sche Säge in Gang und die Bretter wanderten zu mir herauf. Es wurde fleißig gesprengt um den nötigen ebenen Raum zu gewinnen und außerdem, um die Unterkünfte vor feindlicher Geschoß­ein­wir­kung zu schützen. Bis 1. Jänner 1916 stellte ich 16 solcher Baracken auf für je 17 Mann, mit Doppel­dach, Doppel­wän­den, Doppel­fenstern und Türen. Zeitweise mußten wir einen halben Tag Schnee schaufeln, damit die Baracken, oft bis zu den Fenstern ein­ge­schneit, wieder freigemacht werden; au­ßer­dem mußte das Essen täglich etwa 300 m he­rauf­geholt wer­den, da die ein­zige Quelle da unten lag. Es war ein ab­wechs­lungs­rei­ches Leben manchmal, wenn kla­rer Son­nen­schein war, wunderschön die Fernsicht, weit thronte ich da über allen anderen . . .
. . . Sonntag war immer Ruhetag. Wir schos­sen nicht, die Italiener auch nicht. Unten am Collendiaul Törl, war zwischen den Draht­hindernissen ein freier Raum. Da lag die Mannschaft Sonntag mittags in der warmen Sonne auf Decken, eine Zieh­har­monika spiel­te, manchmal wurde getanzt. Die Ita­lie­ner sahen von ihrer Stellung aus zu und wenn man ihr Lieblingslied 'La paloma' spielte, gaben sie reichen Beifall. Manchmal abends packte ich mich zu­sam­men und wanderte in den Nebenabschnitt zum Leutnant Heinz, welcher beim Zollner See eine Maschi­nen­gewehr-Abteilung befehligte. Da war es dann bei Tee oder Wein recht lustig. Aber 1½ Stunden Schneestapfen kostete so ein Ausflug. Aber diese Ruhe, diese Erhabenheit der Bergwelt war stets ein Er­leb­nis. Oft bei Vollmond konnte ich viertelstundenlang stehen und die Berge betrachten, sah man doch in solch klarer Nacht bis zu den Hohen Tauern. Damals dacht ich mir, wie schön es sein müsse, einmal einen Winter oben in den Bergen zubringen zu können. . . .
Auf Großvaters Spuren (der Zollner See, der Kleine und der Hohe Trieb)
. . . Im Jänner gab es große Aufregung. Die Nachricht tauchte auf, daß die Ita­liener einen 30 m langen Stollen in den Berg bau­en, um dort ein Geschütz zu postieren. Richtig, eines Tages war die Öffnung da und sie schossen von dort heraus. Natürlich konnten sie jede unserer Stellungen treffen. Es war also un­angenehm. Als Gegenstück sollte bei mir oben auch ein kurzer Stollen geschaf­fen werden, in ein paar Tagen war er auch fertig und es kam, leider ein altes, Geschütz herauf. Bald begann auch das Schiessen, worüber die Italiener nicht sehr erbaut waren. Nach 16 Tagen Schießen erzielte unser Geschütz in dem italienischen Stollen einen Volltreffer. Da wurde der Stollen­aus­gang verrammelt, zugemauert und wir hatten seither Ruhe vor diesem Störenfried.
Nun gab es aber eine neue Überraschung. Auf einmal hatten wir mittags in einer neuen Baracke einen Volltreffer von einem granatenartigen Geschoß. Zum Glück gab es nur zwei Schwer- und einige Leichtverletzte. Durch Zu­sammensetzen der Sprengstücke kamen wir drauf, daß es eine Ge­wehr­gra­nate sei. Auf einem Stab ist das Geschoß aufgeschraubt, der Stab kommt in den Ge­wehrlauf und nun wird steil ab­ge­schos­sen. Zur raschen Sicherung meiner neuen Baracke verlangte ich Drahtsiebe, welche ich über den Dächern verspannte. Es hatte sich vollkommen bewährt und wir hatten auch da Ruhe. . . .
. . . Unendlich mannigfaltig war hier oben die Tätigkeit im Fels, im Schnee, Schieß­technik, Bau usw. und alles mußte man können, da wurde erst gar nicht gefragt. Und es ging und mir machte es meist ein Vergnügen. Aber es hieß auch eisernen Willen haben und so manche schwierige Lage zusammen mit Wetter­un­bill hinter sich zu bringen. Und das Wetter spaßt da aber nicht. Mitte Jänner fuhr von meiner Stellung aus eine Lawine ab und begrub 16 Leute unten im Nebenabschnitt. Glücklicherweise kamen alle lebend davon, der Sanitätshund hatte bei der Suche gute Dienste geleistet.
Ende Jänner spürte ich Fieber in mir, Mes­sung 38.4. Trotz Mahnung des Medi­ziners blieb ich nicht liegen. 3 Tage ging es so, da griff er zur List. Gegen Abend wurde ich zum Bataillonskommando berufen und als ich ahnungslos dort erschien, wurde ich ins Marodenzimmer gesteckt, und nicht mehr fort­gelassen bis ich gesund war . . . “
Die Kämpfe am Plöckenpass

Wenn man diese Zeilen liest, kommt einem das Geschehen an diesem Front­abschnitt fast ge­müt­lich vor, besonders, wenn man es mit der Hölle der Ison­zo-Front oder mit den Schil­de­run­gen der Kämpfe am Plöckenpass vergleicht, dem Frontabschnitt nur wenige Kilometer westlich vom Einsatzort meines Großvaters.

Der Plöckenpass als wichtigster Übergang im Bereich der Karnischen Alpen hatte eine Schlüs­selposition. Denn die Einnahme dieses Passes hätte den Ita­lie­nern den Weg zum Gail- und zum Drautal geöffnet und hätte damit eine akute Gefährdung der Versorgungwege der K.u.K. Armee zur Folge gehabt. Wegen die­ser stra­te­gi­schen Bedeutung wurde der Front­ab­schnitt um den Plöc­kenpass zu einem Brennpunkt des Kampfgeschehens.
Befestigungsanlage am Plöckenpass (heute  Freilichtmuseum)
Nachdem die Italienische Führung anfangs die Chance verpasst hatte, den von den Ös­ter­rei­chern nur schwach besetzten Front­ab­schnitt durch einen ent­schlos­senen Angriff zu ero­bern, kam es im Mai und Juni 1915 zu einem ver­lust­rei­chen Kampf um den Grenzkamm. Freikofel, Kleiner Pal, Großer Pal: sie wurden in erbitterten Nahkämpfen und unter mörderischem Ar­til­le­rie­feuer mehrmals erobert und wieder verloren. Allein der zweitägige Kampf um den Kleinen Pal kostete beiden Gegenrn fast tausend Tote.
Befestigungsanlage am Plöckenpass (heute Freilichtmuseum)
Nach diesen Kämpfen erlahmte die Front im Stellungskrieg. Die Linien wurden bis zum Rückzug der italienischen Armee im Spätherbs 1917 gehalten. Denn am 24. Oktober 1917 begann die österreich-ungarische Offensive von Flitsch und Tolmein, die auch als 12. Ison­zo­schlacht bezeichnet wurde. Im Zug die­ser Of­fen­sive gelang österreichisch-ungarischen und deutschen Trup­pen die Ero­be­rung Venetiens, bis italienische Verbände, unterstützt von briti­schen und französischen Divisionen, im November eine neue Front entlang des Flusses Piave errichteten.
 
 
Der 1. Weltkrieg
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