Wenn man von Lienz (Osttirol) aus in Richtung Osten fährt, kann es geschehen, dass man auf ein Schild mit der Inschrift „Kosakenfriedhof“ aufmerksam wird. Folgt man diesem bis ans Ufer der Drau, entdeckt man einen kleinen Friedhof mit einem Gedenkstein und einer kleinen Kapelle, einem im orthodoxen Stil gehaltenen Holzbau. Diese kleine Holzkapelle wurde neben den Kosakenfriedhof im Ortsteil Peggetz von Lienz im Gedenken an die Kosakentragödie von 1945 errichtet.
In 28 Gräbern birgt der Friedhof etwa 300 Kosaken. Obwohl der Friedhof selbst bereits seit 1945 besteht, ist die Einweihung der Kapelle erst am 1. Juni 2015 erfolgt.
Der Kosakenfriedhof in Lienz
Auf diesem Friedhof sind Kosaken begraben, die in einem Feldlager am nördlichen Ufer der Drauim Frühjahr 1945 gestorben sind, als das Kosakenlager von der britischen Armee geräumt wurde. Die noch lebenden Kosaken wurden in Judenburg an die Rote Armee übergeben.
Im Zweiten Weltkrieg hatten die deutsche Besatzung und die Belastungen des Krieges in der UdSSR zahlreiche Bruchstellen
Hellmuth von Pannwitz
Der deutsche Offizier Helmuth von Pannwitz (1898 – 1947) war zuletzt Generalleutnant und Kommandierender General des XV. Kosaken-Kavallerie-Korps der Wehrmacht. Er wurde 1947 in Moskau hingerichtet.
innerhalb der stalinistischen Gesellschaft hervorgebracht und zu verschiedenen Formen von „Kollaboration“ geführt. Die Beweggründe der vermeintlichen „Verräter“ gingen vom bloßen Überlebenswillen bis hin zu einem tiefen Hass auf den Bolschewismus. Stalins Sowjetunion rechnete erbarmungslos mit den verschiedenen „Staatsfeinden“ ab. Dies galt besonders für die Angehörigen der „bewaffneten Kollaboration mit dem Feind“.
Zu dieser Gruppe gehörten auch Kosaken-Verbände aus der südlichen Sowjetunion, die ab dem Jahr 1943 dem deutschen Rückzug folgten. Ein Teil dieser Verbände nahm als XV. Kosaken-Kavallerie-Korps unter Generalmajor Helmuth von Pannwitz unter anderem an deutschen „Partisanenaktionen“ in Jugoslawien teil. Die bevorstehende Niederlage Deutschlands brachte diesen Kosaken als Kämpfer aufseiten des Deutschen Reichs in große Bedrängnis, denn sie wurden von Stalin als Verräter betrachtet.
Mit den Kampfverbänden waren auch deren Familien mitgezogen. Im Frühjahr 1944 zogen sich die sogenannten Kosaken-Stans (die ganzen Sippen, inkl. den älteren Leuten, Frauen und Kindern) über Weißrussland und Polen in den Friaul (Norditalien) zurück, wo ihnen die deutschen Behörden ein Gebiet zuwiesen. Siehe „Die Kosaken in Friaul“.
Gegen Ende des Krieges versuchte von Pannwitz, um sich nicht den
nachrückenden Sowjets und
den jugoslawischen kommunistischen Partisanen
ergeben zu müssen, und weil er wusste, was seinen Kosaken im Falle einer Gefangennahme durch die Sowjets bevorstehen würde, mit den Kosakenverbänden (und deren Familien) über den Plöckenpass das britisch besetzte Kärnten zu erreichen, wo er am 9. Mai 1945 auf die 11. britische Panzerdivision traf. Von Pannwitz und seine Kosaken glaubten, bei den Briten in Sicherheit zu sein.
In Lienz wurde das Hauptquartier aufgeschlagen. Im Tross dieser „verlorenen Armee“ waren auch zahlreiche Angehörige der Kämpfer, etwa 1.500 Kinder und 3.000 Frauen, alte Menschen und Geistliche. Dazu kamen auch mehr als 5.000 Pferde, die innerhalb kurzer Zeit die Wiesen der Umgebung kahl fraßen. Die Einheimischen blieben den Kosaken gegenüber sehr zurückhaltend, denn sie fühlten sich durch deren Anwesenheit bedroht.
Kosaken in der Wehrmacht
Mehrmals versicherten die Briten die Kosaken, dass niemand an Stalin ausgeliefert werde. Noch am 24. Mai sagte ein britischer Oberst vor den versammelten Kosaken-Führern: „Meine Herren, bleiben Sie ruhig. Bis jetzt hat es noch keinen Fall gegeben, in dem Kriegsgefangene, die unter der Obhut der britischen Krone stehen, an einen anderen Staat ausgeliefert worden wären.“
Tatsächlich war aber von den Großen Dreien in Jalta längst anders beschlossen worden: Weil die britische Regierung unter anderem befürchtete, dass Stalin die beim Vormarsch durch die Sowjets befreiten britischen Kriegsgefangenen als Faustpfand zurückbehalten könnte, konnte dieser durchsetzen, dass Sowjetbürger, die von den Westmächten befreit oder gefangen genommen wurden, an die UdSSR auszuliefern seien.
Am 29. Mai 1945 begann die Auslieferung von Kosaken-Generälen und -Offizieren. Die Briten gingen mit Knüppeln, Gewehrkolben und Bajonetten brutal gegen die Menschen vor. Viele wurden in der Panik totgetrampelt. Hunderte Kosaken, auch Frauen und Kinder, stürmten die Drau-Brücke, auf der britische Posten in Stellung gegangen waren. Ein Teil der Verzweifelten stürzte sich von der Brücke in den Fluss. Andere Kosaken-Gruppen verübten kollektiven Selbstmord. Noch Tage später wurden im Lienzer Umland Hunderte Leichen gefunden. Die Ereignisse gingen als „Tragödie an der Drau“ in die Geschichte ein.
Am 2. Juni wurden am Bahnhof von Nikolsdorf 1750 Kosaken zum Transport überstellt und am 3. Juni wurden nochmals 1487 Menschen zur damaligen Demarkationslinie bei Judenburg-Steiermark gebracht. Dort, jenseits des Flusses Mur, begann der Machtbereich der Sowjets, die auf die „Verräter" bereits auf der Brücke warteten. Auch in Oberdrauburg wurden ähnliche Maßnahmen wie in der Peggetz getroffen. Die Deportierungen wurden täglich bis zum 7. Juni durchgeführt. Während dieser 10 Tage wurden 35.000 Kosaken abtransportiert. Laut Emil Winkler, Bürgermeister von 1938 bis 1945 in Lienz, kamen etwa 3.000 Männer, Frauen und Kinder ums Leben.
Kosaken und Wehrmacht
General von Pannwitz
und seine Kosaken
General v. Pannwitz und viele seiner deutschen Offiziere beschlossen, sich nicht von ihren Kosaken zu trennen, sodass sie sich mit den Kosaken den sowjetischen Behörden in Judenburg ergaben.
Tagelang vergruben die Bauern der Gegend die Toten – vornehmlich Frauen und Kinder – in den Schoß der Mutter Erde. Nur selten wurde ein Hinweis auf die Identität der Toten gefunden. Nur selten konnte dem einen oder anderen Opfer der Name auf das Grabkreuz geschrieben werden.
Betrayal of the Cossacks
Viele Mütter hatten ihre Babys im Wald versteckt, um ihnen das Leben in den Gulags zu ersparen. Britische Suchtrupps durchkämmten in den folgenden Tagen die Gegend. Immerhin wurde nach dem 4. Juni bei den Gefangenen die Staatsbürgerschaft überprüft, Exilanten genossen von da an Gnade. Erst Ende Juni stoppten die Briten die Auslieferungen.
Die wenigen Kosaken, die es geschafft hatten, sich in den Wäldern zu verstecken, harrten dort noch Monate aus. Prof. Harald Stadler von der Uni Innsbruck schätzt ihre Zahl auf maximal 500. Standen die Lienzer der Kosaken-Invasion – damals hatte ganz Osttirol nur etwa 35.000 Einwohner – zunächst skeptisch gegenüber, so drehte sich die Stimmung nach den tragischen Ereignissen. Je nach Möglichkeit wurden die in die Berge geflohenen Kosaken versorgt.
In Peggetz finden jährlich Gedenkfeiern der Überlebenden und der Nachkommen statt. Bei der Gedenkfeier 2015 gedachten Kosaken aus aller Welt der gewaltsamen Auslieferung der „Lienzer Kosaken“ siebzig Jahre zuvor. Die Gedenkfeier fand aber ohne vier führende Kosaken-Vertreter statt, sie durften nicht aus Russland ausreisen. Siehe auch:
Eklat rund um Kosaken-Feier.
Eternal memory to the Cossack martyrs of Lienz
Kaum etwas ist über das Schicksal der ausgelieferten Menschen bekannt. Im Sommer 1945 wurden sowohl die kosakischen als auch die deutschen Soldaten des Korps in den Ural und nach Workuta in Sibirien abtransportiert, wo sehr viele von ihnen umkamen. Generalleutnant Helmuth von Pannwitz wurde zusammen mit anderen Kosakengenerälen der „Spionage-, Diversions- und Terrortätigkeit gegen die Sowjetunion“ für schuldig erklärt und zum Tode durch den Strang verurteilt. Dieses Urteil wurde am 16. Jänner 1947 in den Kellern der Lubjanka vollstreckt.
Goldeneye
Mit einer Andeutung im James-Bond-Film „GoldenEye“ (1995) fand die Tragödie an der Drau auch Eingang in die Populärkultur: Der Gegenspieler Bonds erklärt sich als Sohn eines Lienzer Kosaken (in der deutschsprachigen Version fälschlicherweise als „Linzer Kosake“ genannt). James Bond (dargestellt von Pierce Brosnan) kommentiert die Auslieferung der Kosaken an die Sowjetunion mit den Worten: „Not exactly our finest hour“.